Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Olaf Glaeseker „von seinen dienstlichen Auf gaben entbunden" worden ist. Kommissarisch übernimmt seine Aufgabe Petra Diroll, bis dato Stellvertreterin Glaesekers. Die Entscheidung wird als dramatische Zuspitzung empfunden, da bekannt ist,
wie eng Wulff und Glaeseker seit mehr als zehn Jahren beruflich miteinander verbunden sind. Das Präsidialamt gibt keine weiterführende
Erklärung. Olaf Glaeseker ist bereits kurz nach Bekanntwerden der
Entscheidung nicht mehr erreichbar. Auch in den Monaten danach
geben weder er noch Christian Wulff eine Erklärung dafür, was zu
diesem Schritt geführt hat. Es heißt lediglich, man habe sich in gegenseitigem Einvernehmen getrennt. Von den genauen Umständen wird
später noch die Rede sein.
Anlass ist ein Fragenkatalog des Stern, der das Präsidialamt am
selben Tag erreicht hat und aus dem hervorgeht, dass Glaeseker selbst
mit schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert ist. Die Staatsanwaltschaft Hannover nimmt schließlich Ermittlungen auf wegen seiner
Beziehungen zum Eventmanager Manfred Schmidt, der kostenlosen
Urlaubsaufenthalte bei Schmidt, die im Verdacht stehen, eine Gegenleistung für die Veranstaltungsreihe Nord-Süd-Dialog in Hannover
gewesen zu sein. Die Entlassung des Präsidentensprechers erscheint
zunächst wie ein Bauernopfer, ein Eindruck, den Glaeseker selbst in
letzten Gesprächen befördert, bevor er sein Handy für eine Zeit lang
erst einmal ausschaltet. Sie fällt zusammen mit einer persönlichen
Erklärung, die der Bundespräsident ebenfalls am 22. Dezember 2011
abgibt, und die bewirken soll, dass er sich noch vor Weihnachten aus
dem Strudel der Vorwürfe rund um Privatkredit und Urlaubsreisen
befreien kann.
Als Christian Wulff an diesem Tag im Großen Saal von Schloss
Bellevue vor dem violetten Wandkissen ans Pult tritt, blickt er in
zahlreiche Objektive. Die Erklärung, die er vom Blatt liest, dauert
etwas länger als vier Minuten. Er nehme die Fragen zu den Vorgängen
„sehr ernst", erklärt Wulff und betont, dass er durch Offenlegung des
privaten Kreditvertrages und der Anschlussfinanzierung bei der BWBank für „volle Offenheit" gesorgt habe. Er räumt dabei ein, „wie irritierend die private Finanzierung unseres Einfamilienhauses in der Öffentlichkeit gewirkt hat. Das hätte ich vermeiden können und müssen. Ich hätte auch den Privatkredit dem Niedersächsischen Landtag
damalig offenlegen sollen. Das war nicht geradlinig und das tut mir
leid. Ich sehe ein: Nicht alles, was juristisch rechtens ist, ist auch richtig." Er betont außerdem, dass er „zu keinem Zeitpunkt" in einem
seiner öffentlichen Ämter „jemandem einen unberechtigten Vorteil
gewährt" habe. Zum Schluss erklärt Wulff, dass er im Amt bleiben
will und dafür „die Bürgerinnen und Bürger auch zukünftig um ihr
Vertrauen" bittet. Im Bellevue hofft man, mit dieser Erklärung vor der
Weihnachtspause einen Schlussstrich ziehen zu können. Hinzu
kommt, dass in den Medien die Erwartung geschürt wurde, Wulff
könnte in der Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten auf die
Vorwürfe eingehen. Im Bundespräsidialamt gilt das als völlig ausgeschlossen, da die Weihnachtsansprache keine persönliche Ansprache
von Christian Wulff, sondern des Bundespräsidenten ist. Es geht also
auch darum, die Weihnachtsansprache zu „schützen".
Fragt man heute im Deutschen Bundestag Abgeordnete nach Christian Wulffs Privatkredit, dann erntet man überwiegend ein Achselzucken, auch bei Thomas Oppermann, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion. Oppermann und Wulff kennen sich
seit Jahren, man ist nicht befreundet, aber man respektiert sich gegenseitig. Die beiden hatten schon miteinander zu tun, da steckten sie
politisch noch in den Kinderschuhen. Im Sommer 1992 waren Oppermann und Wulff, der eine 38, der andere 33 Jahre alt, gemeinsam
mit dem „Young Leaders"-Programm der „Atlantik-Brücke", einer
deutsch-amerikanischen Gesellschaft, in den USA zu einem Studienaufenthalt in Nashville, Tennessee. Als Dritter im Bunde war ein junger Ostdeutscher namens David Gill dabei, gerade einmal 26 Jahre alt
und Pressesprecher der sogenannten Gauck-Behörde. Die drei hätten
seinerzeit wohl nicht gedacht, dass sie achtzehn Jahre später im Sommer 2010 gemeinsam im Plenum des Deutschen Bundestages in einer Bundesversammlung sitzen würden, in der Christian Wulff zum Bundespräsidenten gewählt wird, der SPD-Delegierte Oppermann dem
rot-grünen
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