Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Und schließlich stellt sich die Frage nach
dem zeitlichen Junktim: Der Privatkredit wird unmittelbar nach der
Kleinen Anfrage im Landtag abgelöst durch eine „Bankfinanzierung
mit niedrigerem Zinssatz". Hat Wulff möglicherweise doch Sorge, die
Sache mit dem Privatkredit könnte rauskommen? Die Erklärung, die
der Bundespräsident am 13. Dezember gibt, wirft mehr Fragen auf,
als sie beantwortet. Schnell wird bekannt, dass Egon Geerkens den
Ministerpräsidenten Wulff als Mitglied der Wirtschaftsdelegation auf
mehreren Reisen ins Ausland begleitet hat. Ist der Kredit also eine Gegenleistung gewesen? Hat Wulff Dienstliches und Privates nicht
getrennt? Die Lawine an Nachfragen ist absehbar und erwischt Wulff
in den folgenden Tagen mit voller Wucht.
Sie trifft auch das Ehepaar Geerkens. Egon und Edith Geerkens
wohnen in einem Haus am Vierwaldstädter See und erleben, wie plötzlich ihr Telefon nicht mehr stillsteht. Christian Wulff hatte Egon Geerkens zwar informiert: Die beiden hatten sich Anfang Dezember 2011
in Berlin bei einer Benefizveranstaltung getroffen und dabei hatte der
Bundespräsident seinem Freund mitgeteilt, dass er den Kredit offenlegen werde. Wulff ging aber davon aus, dass die Sache damit sofort
vom Tisch wäre, sobald Bild und Stern den Namen der Kreditgeberin
sehen. Im Hause Geerkens sah man die Sache deshalb eigentlich gelassen. So wundert sich Egon Geerkens in einem Telefongespräch mit
dem Focus, „warum die Angelegenheit so aufgebauscht" werde, das
Darlehen seiner Frau sei eine „rein private Angelegenheit unter Freunden" gewesen. Er kenne Christian Wulff seit über 30 Jahren, sei schon
mit seinem Vater befreundet gewesen und finde es ganz passend, dass
Wulff ihn als „väterlichen Freund" bezeichne. Einen „geschäftlichen
Bezug zur Arbeit des Ministerpräsidenten" habe es nicht gegeben, seine Geschäfte in Deutschland habe er seit 2003 ohnehin aufgegeben.
Dem Spiegel erzählt Geerkens dann aber auch, dass das Geld vom
Konto seiner Frau auf ein Konto in Deutschland überwiesen worden
sei. Er selbst habe dann einen Scheck ausgestellt.
Im politischen Berlin wird die Angelegenheit sofort ernst genommen. Sollte Wulff den Landtag tatsächlich getäuscht haben, dann wäre
das ein Desaster. Im Kanzleramt entschließt man sich, erst einmal
abzuwarten. Zunächst ist es am Bundespräsidenten selbst, sich zu dem
Vorwurf zu verhalten. Auch nach der kurzen schriftlichen Pressemitteilung des Präsidialamts am 13. Dezember beobachtet das Kanzleramt erst einmal, wie die Dinge sich entwickeln. Für die Kanzlerin ist
die Sache nicht einfach zu handhaben: Als Horst Köhler zurücktrat, wurde ihr vorgeworfen, sie habe ihm vorher nicht beigestanden. Doch
mit dem Beistand ist das so eine Sache, denn es ist keine Selbstverständlichkeit, dass sich das Verfassungsorgan Bundesregierung über
das Verfassungsorgan Bundespräsident äußert. Prinzipiell gilt der
Grundsatz: Verfassungsorgane kommentieren sich nicht. Die Situation, in der Wulff sich Mitte Dezember befindet, ist dabei mit der Köhlers im April 2010 in keiner Weise zu vergleichen. Köhlers Problem
war ein gefühltes, Wulffs ist ein reales. Bei Köhler ging es darum, wie
er behandelt wurde, bei Wulff geht es darum, wie er gehandelt hat.
Merkel wartet einen Tag, dann springt sie Wulff bei, nachdem sich
ein Sturm der Entrüstung über ihn Bahn gebrochen hat. Kein großer
Auftritt, nur eine kurze Botschaft: In der Regierungspressekonferenz
lässt sie ihren Sprecher erklären, dass sie „volles Vertrauen in die Person und die Amtsführung von Christian Wulff" habe und keinerlei
Grund sehe, an seinen Angaben zu zweifeln. Derweil brennt es politisch bereits: Die Grünen im niedersächsischen Landtag werfen Wulff
Täuschung vor. Jürgen Trittin, der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, stellt fest, dass das „nicht mehr aus der Welt zu bringen"
sei. Und für die SPD erklärt Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann, Wulff habe den Landtag nicht belogen, aber auch nicht die
ganze Wahrheit gesagt. Die Kommentare in den Medien sind eindeutig: Wulffs moralische Autorität ist erschüttert. Auf Süddeutsche.de
heißt es: „Ein Bundespräsident ist eine moralische Instanz, ist eine
moralische Instanz, ist eine moralische Instanz". Christian Wulff sei
vieles: „ein Strippenzieher, ein Vollblutpolitiker. Eine moralische Instanz ist er nicht. War er nie und wird er nicht mehr werden." Andere Kommentare gehen in
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