Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Nachricht ist. Für
Bild besteht dabei kein Zweifel, dass es Wulff darum ging, die Berichterstattung über seinen Hauskredit zu unterbinden. Der stellvertretende Bild-Chefredakteur Nikolaus Blome drückt das am B. Januar 2012 in der ARD-Sendung „Günther Jauch" so aus: „Der Bundespräsident hat vielleicht das Verschieben als Etappe gesehen, das Verhindern ganz eindeutig als Ziel." Bild gelingt es auf diese Weise, elegant von der Frage abzulenken, wie ihre Rolle in der Geschichte eigentlich aussieht, indem sie die Debatte befeuert, wie es der Bundespräsident mit der Pressefreiheit hält. Zunächst löst die Geschichte
einen enormen Solidarisierungsschub mit Bild aus: Es gelingt der BildZeitung, eine flächendeckende Empörung in der Medienlandschaft
zu schüren und sich gleichzeitig selbst als Gralshüter der Pressefreiheit
zu inszenieren. Nicht alle fühlen sich dabei wohl. Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo sieht sich bei „Günther Jauch" am B. Januar veranlasst zu sagen, dass er „keine übersteigerten Erwartungen an die
Integrität der Bild-Zeitung" habe. In der Berliner tageszeitung heißt
es, dass die Geschichte auch Fragen an die Bild-Zeitung aufwerfe:
„Wie ein Medium über Bande spielt, wenn es sich selbst nicht die
Finger schmutzig machen will, zum Beispiel. Oder wie es eine Affäre
strategisch am Kochen hält. Ein gewisses Unbehagen bleibt deshalb.
Denn im Zweifel rennen wir, die anderen Journalisten, hinterher."
Abgesehen von dem gewissen Unbehagen mit Blick auf die Rolle
der Bild-Zeitung ist der Tenor in den Medien eindeutig: Wulff ist aus
der Rolle gefallen. Das Presseecho auf die Mailbox-Nachricht ist ver heerend für Wulff. Sein Verhalten wird als unwürdig und mit dem
Amt nicht vereinbar empfunden. Letztlich erzeugt Wulff den Eindruck, er meine die Dinge als Bundespräsident genauso regeln zu können wie als Ministerpräsident in Hannover. Die Süddeutsche Zeitung
bringt es so auf den Punkt: „Wie ein Landrat von Osnabrück. Die
Missachtung der Pressefreiheit zeigt, dass das Amt des Bundespräsidenten für Wulff zu groß ist." Während die Öffentlichkeit vieles von
dem, was die Medien an Vorwürfen gegen Wulff ins Feld führen,
lange Zeit nicht so dramatisch findet wie die Medien selbst, wirkt sich
die Nachricht auf der Mailbox für das Image des Bundespräsidenten
katastrophal aus. Im ARD-Deutschlandtrend vom 4. Januar 2012,
unmittelbar vor Wulffs Fernsehinterview bei ARD und ZDF, wird dies
deutlich: Nach Bekanntwerden der Mailbox-Geschichte ist der Anteil
derer, die Wulffs Rücktritt fordern, um zehn Prozentpunkte gestiegen,
von 34 auf 44 Prozent.
Mochte Wulff zum Weihnachtsfest noch Anlass zu Optimismus
gehabt haben, die Krise könnte bald überstanden sein, bekommt die
Geschichte mit der Berichterstattung über die Anrufe beim SpringerVerlag schlagartig eine völlig neue Dimension. Bereits vor dem Jahreswechsel hatten sich auch neue Fragen rund um die Hausfinanzierung
ergeben: So hatte Wulff Mitte Dezember angegeben, den Privatkredit
durch ein Geldmarktdarlehen abgelöst zu haben und dieses wiederum
Ende November durch einen langfristigen Immobilienkredit. Die BWBank erklärte aber Ende Dezember, dass Wulff diesen langfristigen
Kreditvertrag erst am 21. Dezember 2011 unterschrieb, also einen Monat später und einen Tag vor seiner persönlichen Erklärung vor laufenden Kameras, die einen Schlussstrich unter die Vorwürfe ziehen sollte.
Einmal mehr entstand damit der Eindruck, als solle der genaue Ablauf
der Ereignisse verschleiert werden.
Die Hauskredite beschädigen auch nach Weihnachten weiter die
Glaubwürdigkeit des Bundespräsidenten. Sie werden jedoch schlagartig zur Nebensache, als mit der Mailbox-Nachricht ein völlig neues
Thema auf den Tisch kommt, das mit den Einzelheiten komplizierter
Immobilienfinanzierungen nichts zu tun hat. Es befeuert die Krise in einer völlig neuen Art und Weise. Den Anruf bei Bild-Chef Diekmann
kann sich jedermann „bildlich" vorstellen, und die Tatsache, dass
Wulff auf die Mailbox spricht und Bild damit munitioniert, lässt den
Bundespräsidenten dazu noch töricht aussehen. In weiten Teilen der
Bevölkerung und vor allem im Internet wird Wulff kübelweise mit
Hohn und Spott überschüttet. „Wulffen" wird binnen kürzester Zeit
in den verschiedensten Bedeutungen zum geflügelten Wort. Die Krise ist nicht vorbei, sie erreicht vielmehr einen neuen Höhepunkt.
In den ersten Januartagen schießen
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