Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Gegenkandidaten Joachim Gauck die Wahlergebnisse
übermittelt und Gill als Gaucks engster Mitarbeiter an seiner Seite
sitzt. Noch einmal zwei Jahre später wird Gill Chef des Bundespräsidialamtes, als Gauck schließlich Bundespräsident wird.
Thomas Oppermann sitzt im November 2012 in seinem Bundestagsbüro und man sieht ihm an, dass er diese Geschichte gern erzählt.
Sie gehört in die Kategorie „Wie das Leben so spielt". Nach dem gemeinsamen Aufenthalt in den USA waren sich Oppermann und Wulff
schließlich im niedersächsischen Landtag wiederbegegnet - Wulff als
Oppositionsführer und Oppermann als Wissenschaftsminister in den
Regierungen Glogowski und Gabriel, bis Wulff dann 2003 Ministerpräsident wurde. „Die private Hausfinanzierung war an sich kein Problem, man kann ja einen väterlichen Freund' haben", sagt Oppermann. Das Problem sieht er woanders: „Er hätte das im Landtag offenlegen müssen. Er hat die Frage irreführend beantwortet."
Es spricht grundsätzlich nichts dagegen, dass ein Politiker sich Geld,
auch so viel Geld, bei einem Mann leiht, mit dem er seit Jahrzehnten
eng befreundet ist, auch wenn es ein Unternehmer ist. Entscheidend
ist, ob es eine Gegenleistung gegeben hat, was nicht der Fall gewesen
zu sein scheint. Die Reisen, auf denen der Ministerpräsident Wulff
seinen Freund Egon Geerkens mitgenommen hat, kann man nicht
wirklich als Gegenleistung betrachten, zumal Geerkens die Kosten
selbst getragen hat. Das Problem ist nicht der Kredit, sondern der
Umgang damit: die künstliche Trennung zwischen dem Unternehmer
und seiner Frau, der Kreditgeberin, die sich nach gesundem Menschenverstand nur dadurch erschließt, dass der Ministerpräsident sich nicht
angreifbar machen will. Das andere Problem ist deshalb auch die Antwort, die Wulff auf die Kleine Anfrage im niedersächsischen Landtag
gegeben hat: formal zwar korrekt, aber nur mit einem faden Beigeschmack. Die Trennung zwischen Privatkredit und Geschäftsbeziehung wirkt ähnlich formal wie die Trennung des Vermögens von Egon
und Edith Geerkens. Dass der Kredit selbst kaum zu beanstanden ist, da es sich beim Ehepaar Geerkens tatsächlich um enge Freunde handelt, wirkt dabei zweitrangig.
Die Kommunikation ist von Anfang an der Kern des Problems.
Hinzu kommt die Kommunikation in der Krise, die mehr Fragen
provoziert als Antworten gibt. So entsteht der Eindruck, als gäbe es
etwas zu entdecken, sie kostet Wulff weitere Glaubwürdigkeit. Für
diese kommunikativen Fehler, für den Eindruck der Salamitaktik ist
Wulff selbst verantwortlich. Es entsteht das Bild eines Präsidenten,
dessen Handeln als Ministerpräsident moralisch fragwürdig wirkt und
bei dem man nicht sicher ist, ob man ihm glauben kann. Dabei vermittelt der Bundespräsident in seinen Erklärungen, ob schriftlich oder
vor laufenden Kameras, nicht den Eindruck, der moralischen Empörung wirklich folgen zu können. Er räumt zwar Fehler ein, aber mit
dem Hinweis, eigentlich ja korrekt gehandelt zu haben. Das klingt
nach Reue wider Willen. Im Kern ist die Krise zunächst vor allem eins:
ein Kommunikationsdesaster.
Ganz anders als die Medien zieht die Bevölkerung bei der Empörung über den Präsidenten zunächst nicht mit. Umfragen in diesen
Tagen, als der Bundespräsident täglich Aufmacher in allen Nachrichtensendungen und Zeitungen ist, erstaunen: Trotz der geballten Kritik
der Medien sieht die Bevölkerung die Dinge wesentlich gelassener. In
einem ARD-Deutschlandtrend Extra vom 19. Dezember 2011 sagen
70 Prozent der Befragten, dass Wulff im Amt bleiben solle, und das,
obwohl seine Glaubwürdigkeit bereits massiv Schaden genommen hat.
Gleichzeitig erklären 44 Prozent, dass sie ihn nicht mehr für glaubwürdig halten, gut 50 Prozent hingegen immer noch. Die Bevölkerung
folgt der Einschätzung der Medien nur sehr zurückhaltend oder gar
nicht. Wulff kann hierbei zweifellos auch von seinen hohen Beliebtheitswerten zehren, man ist bereit, ihm das zu verzeihen. Im Unterschied zu den Medien hat sich Wulff bei der Bevölkerung „Kredit"
erarbeitet, während sich mit Ausbruch der Krise bei den Medien eine
breite Ablehnungsfront bildet, die das Szenario unmittelbar vor der
Wahl Wulffs zum Bundespräsidenten neu entstehen lässt. Die Politik
hat im Dezember 2011 kein Interesse daran, dass nach anderthalb Jahren ein weiterer Bundespräsident zurücktritt. Die Opposition hält
sich erkennbar zurück. In dieser Ausgangslage sorgt ein Teil der
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