Der Botschafter
länger sicher, furchte ich«, erklärte er ihr. »Die örtlichen Behörden haben Wind von Ihrer Anwesenheit bekommen.«
Sie fuhr zusammen, als habe jemand ihr einen Kübel Eiswasser in den Rücken gekippt. Bei dem Gedanken, verhaftet und in Ketten nach Großbritannien zurückgeschickt zu werden, wurde ihr fast schlecht.
»Sie müssen Frankreich sofort verlassen«, fuhr er fort. »Ich schlage Bahrain vor. Der Chef der dortigen Sicherheitskräfte ist ein alter Kollege von mir. Dort sind Sie sicher, und es gibt schlimmere Aufenthaltsorte als den Persischen Golf im März.
Im Frühjahr ist das Wetter dort herrlich.«
»Ich bin nicht daran interessiert, den Rest meiner Tage an einem Swimmingpool in Bahrain zu verbringen.«
»Was wollen Sie damit sagen, Miss Wells?«
»Daß ich mitmachen will«, antwortete sie. »Ich nehme Ihre Unterstützung dankend an, aber ich will dabeisein, wenn der Mann stirbt.«
»Sind Sie dafür ausgebildet?«
»Ja«, sagte sie.
»Haben Sie schon einmal einen Menschen getötet?«
Sie dachte an eine Nacht vor zwei Monaten - an die Scheune im County Armagh, in der sie Charlie Bates erschossen hatte.
»Ja«, sagte sie mit fester Stimme, »das habe ich.«
»Der Mann, dem ich diesen Auftrag erteilen werde, arbeitet am liebsten allein«, sagte der Unbekannte, »aber ich denke, er wird einsehen, daß es zweckmäßig wäre, bei diesem Unternehmen eine Partnerin zu haben.«
»Wann reise ich ab?«
»Heute abend.«
»Dann möchte ich jetzt gerne in die Wohnung zurück, um ein paar Dinge mitzunehmen.«
»Das ist leider nicht möglich.«
»Was ist mit Roderick? Was wird er denken, wenn ich ohne die geringste Erklärung verschwinde?«
»Um Roderick Campbell kümmern wir uns.«
Der Blonde fuhr mit dem Citroen nach Montparnasse zurück und parkte gegenüber von Roderick Campbeils Wohnblock. Er stieg aus und überquerte die Straße. Er hatte der Frau unterwegs die Schlüssel geklaut. Er sperrte die Eingangstür auf und ging die Treppe zu Campbells Wohnung hinauf. Er zog die kleinkalibrige Herstal aus dem Bund seiner Jeans, schloß die Wohnungstür auf und trat lautlos über die Schwelle.
33
AMSTERDAM
Die Wettervorhersage für das holländische Küstengebiet war gut, deshalb bestieg Delaroche an diesem Märzmorgen in aller Frühe sein italienisches Rennrad und strampelte nach Süden. Zu seiner langen schwarzen Radlerhose trug er einen weißen Rollkragenpullover aus Baumwolle und darüber eine neongelbe Windjacke eng genug, um nicht im Wind zu flattern, weit genug, um die Beretta unter seiner linken Achsel zu verbergen.
Er fuhr in Richtung Leiden durch den Bloembollenstreek, das größte Blumenanbaugebiet Hollands, und seine kräftigen Beine trieben ihn mühelos durch bereits in farbenprächtiger Blüte stehende Felder vorwärts.
Seine Augen nahmen zunächst die holländische Landschaft wahr - die Deiche und die Kanäle, die Windmühlen und die Blumenfelder -, aber nach einiger Zeit tauchte vor seinem inneren Auge wieder Maurice Leroux' Gesicht auf. Er war Delaroche vergangene Nacht im Traum erschienen: weiß wie Schnee, zwei Einschußlöcher in der Brust, noch immer mit der lächerlichen Baskenmütze auf dem Kopf.
Ich bin zuverlässig. Ich habe schon viele Männer wie Sie operiert.
Delaroche erreichte Leiden und aß in der Mittagssonne im Garten eines Cafes am Rheinufer. Hier, nur wenige Kilometer von seiner Mündung in die Nordsee entfernt, war der Rhein schmal und träge - ganz anders als der Wildwasserfluß in der Nähe seiner Quelle in den Alpen oder der breite industrielle Lastenesel der deutschen Ebenen. Delaroche bestellte Kaffee und ein Schinken-Käse-Sandwich.
Seine Unfähigkeit, Leroux' Bild aus seinem Unterbewußtsein zu tilgen, ging Delaroche auf die Nerven. Im allgemeinen fühlte er sich nach einem Mord nur kurze Zeit unwohl. Aber obwohl er Leroux schon vor einer Woche erschossen hatte, erschien sein Gesicht noch immer häufig vor seinem inneren Auge.
Er mußte an einen Mann namens Wladimir denken. Delaroche war seiner Mutter nach der Geburt weggenommen und in die Obhut des KGB gegeben worden. Wladimir war für ihn Vater und Mutter zugleich gewesen. Er hatte den Jungen Sprachen und alle Fertigkeiten gelehrt, die er für seinen zukünftigen Beruf brauchte. Und er hatte versucht, ihm etwas übers Leben beizubringen, bevor er ihn töten lehrte. Wladimir hatte ihn gewarnt, daß dies irgendwann passieren würde. Eines Tages wirst du jemandem das Leben nehmen, und dieser Mann
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