Der Botschafter
was Delaroche zuwider war. Am letzten Abend an Bord erklärte er ihr, er habe eigentlich keinen Namen, aber wenn sie ihn unbedingt irgendwie nennen wolle, sei »Jean-Paul« noch am besten.
Delaroche war noch immer wütend darüber, daß er mit einer Frau zusammenarbeiten mußte, aber in einem Punkt hatte der Direktor recht gehabt: Sie war keine Amateurin. Der Konflikt in Nordirland hatte dazu beigetragen, ihre Fähigkeiten zu schärfen.
Sie verfügte über ein ausgezeichnetes Gedächtnis und verhielt sich im Einsatz instinktiv richtig. Sie war groß und für eine Frau ziemlich stark, und nachdem sie drei Nächte lang mit der Beretta geübt hatte, schoß sie glänzend. Nur eine Sache machte Delaroche Sorgen - ihr Idealismus. Er glaubte an nichts als seine Malerei. Eiferer nervten ihn. Auch Astrid Vogel war einst eine Idealistin wie Rebecca gewesen - als Mitglied der westdeutschen kommunistischen Terrororganisation Rote-Armee-Fraktion -, aber als sie mit Delaroche zusammengearbeitet hatte, war ihr einstiger Idealismus längst verflogen gewesen, und sie hatte nur des Geldes wegen mitgemacht.
Delaroche hatte sich alle Einzelheiten der Chesapeake Bay eingeprägt: die Untiefen, die Fahrrinnen und Buchten, die Strande und Landzungen. Er brauchte nur einen Blick auf die GPS-Anzeige zu werfen, um genau zu wissen, wo er sich im Verhältnis zur Küste befand. Er hatte bereits Sandy Point, Cherry Point und Windmill Point passiert. Als er Bluff Point erreichte, war er vor Kälte fast erstarrt. Er drosselte die Motoren des Whalers, und sie tranken heißen Kaffee aus ihrer Thermosflasche.
Delaroche sah auf seine GPS-Anzeige: 38,50° nördliche Breite, 76,31° westliche Länge. Er wußte, daß er sich Curtis Point, einer Landspitze an der Einmündung des West Rivers, näherte. Sein Ziel war der nächste Gezeitenstrom, der aus Maryland kommend in die Bay floß: der von dieser Stelle noch etwa drei Seemeilen entfernte South River. Als er Saunders Point passierte, sah er im Osten, an der Steuerbordseite des Whalers, den ersten grauen Schimmer des heraufdämmernden Tages. Er umrundete Turkey Point und registrierte die schwache Strömung der bei einsetzender Ebbe aus dem South River abfließenden Wassermassen.
Delaroche schob die Gashebel nach vorn, während er dem South River nach Nordosten folgte. Er wollte vor Tagesanbruch an Land und auf der Straße sein. Sie rasten an Mayo Point und Brewer Point, an der Glebe Bay und dem Crab Creek vorbei.
Delaroche erreichte die nächste Einmündung und sah auf seine GPS-Anzeige, um sicherzugehe n, daß dies der Broad Creek war.
Bei einsetzender Ebbe war die Wassertiefe geringer als in den Seekarten angegeben; Delaroche mußte zweimal ins eisige Wasser springen, um den Whaler nach Grundberührungen wieder flottzumachen.
Schließlich erreichte er das Ende der kleinen Bucht. Er ließ den Whaler im Schilfgürtel auf Grund laufen, sprang erneut ins Wasser und zog das Boot an der Bugleine tief ins Schilf hinein.
Rebecca kletterte ins vordere Sitzabteil und brachte eine große Reisetasche mit, die alles enthielt, was sie brauchen würden: Kleidung, Geld und elektronische Geräte. Nachdem sie die Tasche Delaroche übergeben hatte, ließ sie sich über die Bordwand ins knietiefe Wasser gleiten. Der Wagen stand genau an der Stelle, die ihm der Direktor bezeichnet hatte, auf dem unbefestigten Strandweg: ein in Quebec zugelassener schwarzer Volvo Kombi. Delaroche hatte die Schlüssel in der Tasche. Er öffnete die Heckklappe und stellte die Reisetasche auf die Ladefläche. Dann fuhr er mehrere Meilen weit auf kleinen Landstraßen durch Felder und sonnenbeschienene Weideflächen, bis er die Route 50 erreichte. Er bog auf sie ab und fuhr nach Osten in Richtung Washington.
Eine Stunde nachdem sie an der Chesapeake Bay in den Volvo gestiegen waren, erreichten sie Washington auf der New York Avenue, einer tristen Durchgangsstraße, die sich vom Stadtteil Northeast quer durch Washington bis zu den in Maryland liegenden Vororten zog. Unterwegs hatte Delaroche einmal an einer Tankstelle gehalten, damit Rebecca und er sich anständig anziehen konnten. Er durchquerte die Stadt auf der Massachusetts Avenue und fuhr dann vor dem Hotel Embassy Row vor, das nicht weit vom Dupont Circle entfernt lag. Dort war ein Doppelzimmer für Mr. und Mrs. Claude Duras aus Montreal reserviert.
Um als Ehepaar auftreten zu können, wie ihre Legende es verlangte, mußten Delaroche und Rebecca sich das Zimmer teilen. Sie
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