Der Botschafter
Michael an den Tisch kamen und Platz nahmen. Eine Kellnerin brachte ihnen Speisekarten und Bestellvordrucke. Die Gäste konnten ihre Bestellungen hier nicht mündlich aufgeben; statt dessen mußten sie umständlich einen kleinen Vordruck ausfüllen und den Rechnungsbetrag selbst ermitteln. In der Agency wurde gewitzelt, daß die Bestellzettel jeden Abend in der Personalabteilung psychologisch ausgewertet wurden. Carter bemühte sich vergeblich, mit Monica Konversation zu machen, während er mit dem komplizierten Formular kämpfte. Da Michael wußte, daß die Rechnung vom Spesenkonto der Direktorin abgebucht werden würde, wählte er die teuersten Gerichte aus der Speisekarte: Shrimpscocktail, Langustenkuchen und Creme brûlée als Nachtisch. Tweedledee füllte Monicas Vordruck für sie aus.
»Nachdem es Ihnen jetzt gelungen ist, die Ulster Freedom Brigade auszuschalten«, begann Monica plötzlich, »sind wir der Meinung, daß es Zeit ist, Sie aus der Sonderkommission Nordirland abzuziehen, damit Sie etwas Produktiveres tun können.«
Michael warf Carter einen Blick zu, aber der zuckte mit den Schultern. »Wer ist wir?« fragte Michael.
Monica blickte von ihrem Salat auf, als finde sie die Frage impertinent. »Der sechste Stock, natürlich.«
»Tatsächlich habe ich gehofft, mich in Zukunft mit dem Fall Oktober beschäftigen zu können«, sagte Michael.
»Tatsächlich beabsichtige ich, Sie ganz von dem Fall Oktober abzuziehen.«
Michael schob seinen nur halb aufgegessenen Shrimpscocktail von sich weg und legte seine Serviette auf den Tisch. »Zu unserer Vereinbarung über meine Rückkehr in die Agency hat auch gehört, daß ich einen Teil meiner Arbeitszeit der Fahndung nach Oktober würde widmen können. Warum wollen Sie sich jetzt nicht mehr an diese Vereinbarung halten?«
»Ich will ganz ehrlich sein, Michael. Adrian hat geglaubt, Sie mit dieser Zusicherung leichter zu uns zurückholen zu können.
Aber ich habe nie viel von dieser Idee gehalten - und tue es noch immer nicht. Sie haben sich erneut als ausgezeichneter Mitarbeiter bewährt, und ich würde gegen meine Dienstpflichten verstoßen, wenn ich zuließe, daß Sie an einer Sache weiterarbeiten, bei der Erfolge unwahrscheinlich sind.«
»Aber ich habe schon einen Erfolg erzielt, Monica. Ich habe bewiesen, daß Oktober noch lebt und weiterhin als Attentäter und Terrorist arbeitet.«
»Nein, Michael, Sie haben nicht bewiesen, daß er noch lebt.
Sie haben anhand eines bearbeiteten Fotos einer Hand die Theorìe aufgestellt, er lebe noch. Das ist ziemlich weit von einem hieb-und stichfesten Beweis entfernt.«
»In unserer Branche haben wir selten hieb-und stichfeste Beweise, Monica.«
»Belehren Sie mich bitte nicht, Michael.«
Sie schwiegen, als die Kellnerin an ihren Tisch kam und die Vorspeisenteller abtrug.
»Wir haben Interpol alarmiert«, fuhr Monica fort. »Wir haben unsere Verbündeten gewarnt. Mehr können wir praktisch nicht tun. Ab jetzt sind die Strafverfolgungsbehörden zuständig, und wir sind keine Strafverfolgungsbehörde.«
»Ich bin anderer Ansicht«, stellte Michael fest.
»In welchem Punkt?«
»Sie wissen, welchen Punkt ich meine.«
Monicas Faktoten rutschten unruhig auf ihren Stühlen hin und her. Carter zupfte an einem losen Faden der Tischdecke herum.
Nichts brachte Monica Tyler mehr auf als Widerspruch von Untergebenen.
»Irgend jemand hat Oktober für den Mord an Achmed Hussein angeheuert«, fuhr Michael fort. »Irgend jemand gewährt ihm Schutz und versorgt ihn mit Geld und gefälschten Papieren. Wir müssen herausbekommen, wer hinter ihm steht. Das ist Geheimdienstarbeit, Monica, keine Polizeiarbeit.«
»Sie nehmen wieder einmal an, der Mann in Kairo sei Oktober gewesen, Michael. Es könnte ein israelischer Geheimdienstler gewesen sein. Es könnte ein Rivale Husseins innerhalb der Hamas gewesen sein. Es könnte ein PLO-Attentäter gewesen sein.«
»Es könnte eine Pekingente gewesen sein, aber das stimmt nicht. Es ist Oktober gewesen.«
»Ich bin anderer Ansicht.« Sie lächelte, um ihm zu zeigen, daß sie seinen Ausdruck absichtlich entlehnt hatte. Ihr Blick glitt über ihn hinweg, als suche sie die beste Stelle, um ihren Dolch hineinzustoßen.
Michael gab nach. »Welche neue Aufgabe haben Sie mir also zugedacht?«
»Der Friedensprozeß im Nahen Osten dümpelt vor sich hin«, sagte sie. »Die Hamas legt in Jerusalem Bomben, und wir haben Hinweise darauf, daß das Schwert von Gaza in Europa aktiv werden will.
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