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Der Botschafter

Der Botschafter

Titel: Der Botschafter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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dort in Jogahaltung saß und immer wieder das Gebet um heitere Gelassenheit aufsagte. Die Produzenten waren hohlwangig und reizbar. Die Kameramänner erinnerten an Fischer aus Greenport: stämmig und bärtig, in ausgemusterten Militärklamotten. Sie pokerten bis weit nach Mitternacht und tranken dazu Bier, bis es keines mehr gab.

    Bei Tagesanbruch schwärmten Secret-Service-Agenten auf der Insel aus. Sie bezogen Posten an beiden Anlegestellen der Fähre und errichteten auf allen Zufahrten zu Cannon Point Straßensperren. Scharfschützen gingen auf dem Dach des alten Hauses in Stellung, und zu Bombenschnüfflern abgerichtete Schäferhunde patrouillierten auf den weiten Rasenflächen und erschreckten die Eichhörnchen und die Weißwedelhirsche. Die Fernsehteams fielen wie ein Stoßtrupp in Coecles Harbor ein und charterten sämtliche Boote, deren sie habhaft werden konnten. Die Preise zogen augenblicklich an. Das CNN-Team mußte sich mit einem altersschwachen dreieinhalb Meter langen Zodiac-Schlauchboot zufriedengeben, für das es erstaunliche fünfhundert Dollar zahlte. Im Shelter-Island-Sund waren zwei Küstenwachkutter postiert. Um halb zehn traf der gemietete Bus mit dem Pressekorps des Weißen Hauses im Manhanset Inn ein.
    Die Reporter stolperten in Jake Ashcrofts leergeräumten Speisesaal wie Bürgerkriegsflüchtlinge in ein Aufnahmezentrum.
    Und so schien alles bereit zu sein, als kurz nach zehn -Uhr von der Little Peconic Bay herüber das gedämpfte . wupwupwup von Hubschrauberrotoren zu hören war. Der Sonntag war feucht und bewölkt angebrochen, aber um diese Zeit hatten sich die Wolken aufgelöst, und die Osthälfte von Long Island lag in hellem Wintersonnenschein. Auf Chequit Point knatterte eine amerikanische Fahne im Wind. Auf dem Dach des Shelter-Island-Yacht-Clubs lag ein riesiges Spruchband mit der Aufschrift WELCOME PRESIDENT BECKWITH, das der Präsident lesen konnte, wenn sein Hubschrauber darüberflog. Viele neugierige Inselbewohner säumten die Shore Road, und die Kapelle der High School spielte begeistert, wenn auch nicht ganz tonrein »Hail to the Chief«.
    Marine One flog über Nassau Point und Great Hog Neck an.
    Die Gaffer an der Shore Road bekamen den Präsidentenhubschrauber erstmals zu sehen, als er tief über dem Shelter-Island-Sund heranschwebte. Die Fernsehteams in den Booten richteten ihre Kameras auf ihn und hielten den Anflug fest. Dann schwebte Marine One über Dering Harbor, wo der Rotorabwind Wellen auf der Wasseroberfläche hervorrief, und setzte gleich hinter der Kaimauer auf dem Rasen von Cannon Point auf.
    Dort wartete Douglas Cannon gemeinsam mit Elizabeth, Michael und den beiden Retrievern. Die Hunde rasten los, als James und Anne Beckwith ausstiegen beide mit frischgebügelten Khakihosen und jagdgrünen, wasserdichten Jacken aus England für eine Landpartie gekleidet.
    Eine kleine Gruppe von Reportern - der sogenannte engste Kreis - hatte das Grundstück betreten dürfen, um die Ankunft mitzuerleben. »Wozu sind Sie hier?« rief der Korrespondent von ABC News laut.
    »Wir wollen nur einen alten Freund in seinem Haus auf dem Land besuchen«, rief der Präsident lächelnd zurück.
    »Was machen Sie jetzt?«
    Douglas Cannon trat vor. »Wir fahren in die Kirche.«
    First Lady Anne Beckwith - oder Lady Anne Beckwith, wie sie bei den Washingtoner Klatschbasen hieß reagierte auf diese Antwort des Senators sichtlich betroffen. Wie ihr Mann war sie praktisch eine Atheistin, die nichts mehr haßte als den sonntäglichen Ausflug über den Lafayette Square in die St. John's Episcopal Church, um dort eine Stunde lang scheinbar zu beten und eine erbauliche Predigt anzuhören. Aber zehn Minuten später war eine improvisierte Wagenkolonne auf der Manhanset Road zu St. Mary's Church unterwegs. Wenig später standen die beiden alten Widersacher Schulter an Schulter in der ersten Bankreihe - Beckwith in einem blauen Blazer, Cannon in einer abgetragenen Tweedjacke mit Löchern in den Ellbogen - und sangen lauthals »Ein feste Burg ist unser Gott«.
    Mittags beschlossen Beckwith und Cannon, nun sei ein kleiner Segeltörn fällig, obwohl die Lufttemperatur kaum fünf Grad betrug und mäßiger Wind mit Stärke vier über den Shelter-Island-Sund wehte. Zum Entsetzen der Secret-Service-Agenten gingen die beiden Männer tatsächlich an Bord der Athena und legten ab.
    Sie liefen mit Motor durch den engen Kanal zwischen Shelter Island und der North Fork von Long Island und setzten erst Segel, als

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