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Der Botschafter

Der Botschafter

Titel: Der Botschafter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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gekauft. Der Wagen stand auf einem um diese Zeit leeren Parkplatz am Fährhafen. Delaroche öffnete die Heckklappe und legte seine Sachen auf die hintere Ladefläche: eine große flache Tasche mit Leinwänden und seiner Palette, eine kleinere Tasche mit Pinseln und Farben. Dann setzte er sich ans Steuer und ließ den Motor an.
    Die Fahrt nach Kap Mavros an der Nordküste dauerte nur ein paar Minuten; Mykonos ist eine kleine Insel, etwa zehn mal fünfzehn Kilometer groß, und auf der Straße herrschte in dieser Jahreszeit nur wenig Verkehr. Die Mondlandschaft der Insel zog im gelblichen Licht der Autoscheinwerfer an ihm vorbei - baumlos, kahl, mit kantigen Felsformationen, die Jahrtausende menschlicher Besiedlung nur wenig abgeschliffen hatten.
    Delaroche hielt in der kiesbestreuten Einfahrt der Villa und stieg aus. Wegen des Windes mußte er sich kräftig gegen die Autotür stemmen, um sie überhaupt öffnen zu können. Von der ins Ionische Meer übergehenden Panormosbucht leuchteten schaumgekrönte Wellen herauf. Delaroche ging den kurzen gepflasterten Weg zur Haustür und steckte seinen Schlüssel ins Schloß. Bevor er die Tür öffnete, zog er eine Pistole, eine italienische Beretta, aus dem Schulterhalfter unter seiner Lederjacke. Die Alarmanlage zirpte leise, als er das Haus betrat.
    Er schaltete die Anlage aus, machte Licht und ging durch sämtliche Räume der Villa, bis er sicher war, daß niemand im Haus war.
    Da er nach seinem langen Maltag hungrig war, ging er in die Küche und bereitete sich ein Abendessen zu: ein Omelett mit Zwiebeln, Champignons und Käse, einen Teller Parmaschinken, dazu eingelegte Oliven, griechische Peperoni und in Olivenöl mit Knoblauch gebackenes Brot.
    Er trug die Teller zu dem rustikalen Eß tisch hinüber. Dann schaltete er seinen Laptop ein, loggte sich ins Internet ein und las Zeitungen, während er aß. Im Haus war es still bis auf den Wind, der an den aufs Meer hinausführenden Fenstern rüttelte.
    Als er seine Lektüre beendet hatte, sah er nach, ob eine E-Mail für ihn eingegangen war. Er hatte eine, aber als er sie auf den Bildschirm holte, schien sie nur aus einer Folge willkürlich aneinandergereihter Buchstaben zu bestehen. Erst als er sein Kennwort eingab, wurde daraus Klartext. Delaroche aß langsam weiter, während er das Dossier des Mannes studierte, den er als nächsten ermorden würde.
    Obwohl Jean-Paul Delaroche den größten Teil seines Lebens in Frankreich verbracht hatte, war er kein Franzose. Unter dem Decknamen Oktober hatte er als Berufskiller für den KGB gearbeitet. Er hatte ausschließlich in Westeuropa und im Nahen Osten gelebt und operiert, und sein Auftrag war einfach gewesen: Chaos innerhalb der NATO zu erzeugen, indem er die Spannungen innerhalb ihrer Mitgliedsstaaten anheizte. Als die Sowjetunion zusammenbrach, wurden Männer wie Delaroche nicht vom Auslandsgeheimdienst, dem weniger anrüchigen KGB-Nachfolger, übernommen; also machte er sich selbständig und avancierte rasch zum gefragtesten Auftragsmörder der Welt.
    Jetzt arbeitete er ausschließlich für einen Mann, den er nur als den Direktor kannte. Für seine Dienste erhielt er eine Million Dollar im Jahr.
    Seenebel hing über den Klippen, als Delaroche am nächsten Tag mit einem kleinen italienischen Motorroller die schmale Küstenstraße über der Panormosbucht entlangfuhr. Mittags aß er in Ano Mera in der Taverne: Fisch, Reis, Brot und Salat mit Olivenöl und keilförmig geschnittenen Eierscheiben. Nach dem Essen schlenderte er durchs Dorf auf den Obstmarkt. Dort kaufte er mehrere Melonen, die er in einer großen Papiertüte zwischen seine Beine stellte, als er zu einem einsamen, unbefestigten Straßenstück in den kahlen Hügeln über der Merdiasbucht hinauffuhr.
    Oben hielt Delaroche neben einem Felsvorsprung an. Er nahm eine Melone aus seiner Tüte und stellte sie so auf den Felsen, daß sie ungefähr in Kopfhöhe stand. Dann stellte er drei weitere Melonen wie Gummihütchen auf einem Slalomkurs mit etwa zwanzig Metern Abstand auf der Straße auf. Seine Beretta steckte im Schulterhalfter unter seinem linken Arm. Er fuhr zweihundert Meter weiter, hielt an, wendete und zog ein Paar schwarzer Lederhandschuhe aus der Innentasche seiner Jacke.
    Bei seinem letzten Auftrag vor einem Jahr hatte der Mann, den er hätte liquidieren sollen, ihn mit einem Schuß durch die rechte Hand verletzt. Das war das einzige Mal gewesen, daß Delaroche einen übernommenen Auftrag nicht wie vereinbart

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