Der Botschafter
kaum wahrnehmbar nickte.
Graham verstieß regelmäßig gegen die Geheimhaltungspflicht von MI5-Angehörigen, indem er Helen zuviel über seine Arbeit erzählte.
»Manche Tage sind besser als andere«, sagte Michael. »Aber insgesamt geht's ihr gut. Wir haben die Wohnung und das Haus auf Shelter Island in Festungen verwandelt. Auf diese Weise schläft sie nachts besser. Und die Kinder lenken sie auch ab.
Ihre Arbeit und die Zwillinge lassen ihr kaum Zeit, an die Vergangenheit zu denken.«
»Hat sie die Deutsche wirklich erschossen, diese ... o Gott, Graham, wie hat sie gleich wieder geheißen?«
»Astrid Vogel«, warf Graham ein.
»Hat sie's wirklich mit Pfeil und Bogen getan?«
Michael nickte.
»Mein Gott«, murmelte Helen. »Wie ist das passiert?«
»Astrid Vogel hat sie ins Gästehaus verfolgt, in dem ihr vor ein paar Jahren gewohnt habt. Elizabeth hat sich im Schlafzimmer in den Wandschrank geflüchtet. Dort ist ihr einer ihrer alten Sportbogen in die Hand gefallen. Sie ist als Mädchen eine hervorragende Bogenschützin gewesen - das hat sie von ihrem Vater geerbt. Sie hat getan, was sie tun mußte, um zu überleben.«
»Was ist aus dem zweiten Attentäter, diesem Kerl namens Oktober geworden?«
»Die Agency hat aus zuverlässiger Quelle erfahren, Oktober sei tot - von seinen Auftraggebern ermordet, weil er's nicht geschafft hatte, mich zu liquidieren.«
»Glaubst du das?« fragte Helen.
»Ich habe es für entfernt möglich gehalten«, sagte Michael.
»Aber jetzt glaube ich es nicht mehr. Tatsächlich bin ich mir fast sicher, daß Oktober noch lebt und wieder arbeitet. Dieses Attentat in Kairo ...«
»Achmed Hussein«, warf Graham ein, damit Helen wußte, wovon die Rede war.
»Ich habe die Augenzeugenberichte sorgfältig gelesen. Ich weiß nicht genau, warum, aber irgendwie trägt das Attentat seine Handschrift.«
»Hat Oktober seinen Opfern nicht immer ins Gesicht geschossen?«
»Richtig, aber da er angeblich tot ist, wäre es vernünftig, die Signatur zu ändern.«
»Was hast du also vor?« fragte Graham.
»Ich fliege morgen früh mit der ersten Maschine nach Kairo.«
10
KAIRO
Michael landete am frühen Nachmittag in Kairo. Wie schon in Großbritannien reiste er mit seinem echten Reisepaß ein und erhielt ein für zwei Wochen gültiges Touristenvisum. Dann bahnte er sich einen Weg durch den Trubel im Ankunftsgebäude
- vorbei an Beduinen, die ihre gesamte irdische Habe in alten Pappkartons bei sich trugen, vorbei an einem kleinen Trupp meckernder Ziegen - und wartete am Taxistand zwanzig Minuten auf einen klapprigen Lada. Er rauchte im Auto, um den Gestank der von hinten eindringenden Auspuffschwaden zu mildern.
So unerträglich heiß Kairo im Sommer war, so bemerkenswert angenehm fand Michael die Stadt im Winter.
Die Luft war mild und warm, und der Wüstenwind trieb weiße Wattebauschwolken über den azurblauen Himmel. Auf der Straße nach Kairo hinein drängten sich arme Ägypter, um das schöne Wetter zu genießen. Auf dem Mittelstreifen picknickten ganze Familien. Der Taxifahrer sprach ihn auf englisch an, aber Michael wollte seine Fertigkeiten überprüfen und erklärte ihm in fließendem Arabisch, er sei ein in London lebender libanesischer Geschäftsmann, der während des Krieges aus Beirut geflüchtet sei. Dann unterhielten sie sich eine halbe Stunde lang über das alte Beirut - Michael mit seinem vornehmen Beiruter Akzent, der Fahrer im Dialekt seines Heimatdorfs im Nildelta.
Michael wollte nicht wieder ins Nile Hilton - und hatte den Trubel auf dem Tahrirplatz satt -, deshalb nahm er sich ein Zimmer im Hotel Inter-Continental, einem über der Corniche aufragenden Sandsteinbau, der wie alle neueren Gebäude Kairos die Spuren von Staub und Dieselqualm trug. Er lag auf der Dachterrasse am Pool, trank lauwarmes ägyptisches Bier und dachte über alles mögliche nach, bis die Sonne hinter der Westlichen Wüste unterzugehen begann und der Ruf zum Abendgebet ertönte - erst nur ein Muezzin in weiter Ferne, dann noch einer und noch einer, bis tausend Tonbandstimmen gemeinsam kreischten. Michael stemmte sich aus seinem Liegestuhl hoch und trat an die Brüstung, von wo aus er einen Blick über den Fluß hatte. Ein paar Gläubige bewegten sich auf die Moscheen zu, aber ansonsten ging das hektische Treiben auf den Straßen unvermindert weiter.
Um fünf Uhr ging er in sein Zimmer, duschte und zog sich an.
Er nahm sich ein Taxi für die kurze Strecke flußaufwärts zum Paprika neben
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