Der Botschafter
meinen Vater bis zuletzt nicht in Ruhe gelassen. Wenn irgendwo was Besonderes passiert ist, hat es ein paar nette Männer vorbeigeschickt, die dann zu Füßen des großen Harolds gesessen haben.«
Michael hob sein Glas. »Auf den großen Harold.«
»Hört, hört!« Graham trank einen Schluck Whisky. »Na, wie ist der Ruhestand?«
»Beschissen.«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich«, sagte Michael. »Anfangs ist er in Ordnung gewesen, vor allem während meiner Genesungszeit, aber nach einer Weile habe ich einen Lagerkoller bekommen. Ich habe versucht, ein Buch zu schreiben, aber dann ist mir klar geworden, daß jemand, der mit achtundvierzig seine Memoiren schreibt, schon extrem introvertiert sein muß. Also lese ich anderer Leute Bücher, beschäftige mich mit allem möglichen Kram und mache lange Spaziergänge durch Manhattan.«
»Was ist mit den Kindern?« Graham stellte diese Frage mit der ganzen Skepsis eines Mannes, der Kinderlosigkeit zu einem Glaubensgrundsatz erhoben hat. »Wie ist es, in deinem Alter erstmals Vater zu sein?«
»Was zum Teufel meinst du mit meinem Alter?«
»Damit meine ich, daß du achtundvierzig bist, Schätzchen.
Versuchst du erstmals, mit deinen Kindern Tennis zu spielen, läufst du Gefahr, mit einem Herzschlag umzukippen.«
»Es ist wundervoll«, sagte Michael einfach. »Das Beste, was ich je getan habe.«
»Aber?« fragte Graham.
»Aber ich bin den ganzen Tag mit den Kindern in der Wohnung eingesperrt und habe das Gefühl, allmählich durchzudrehen.«
»Was willst du mit dem Rest deines Lebens anfangen?«
»Alkoholiker werden. Bitte noch etwas Scotch.«
»Klar«, sagte Graham. Er machte eine Show daraus, wie er mit seinen langen Händen nach der Flasche griff und Michael zwei Fingerbreit Whisky einschenkte. Graham hatte eine angeborene Eleganz, die sich allen seinen Bewegungen mitteilte.
Michael hatte schon immer gefunden, für einen Spion sei er etwas zu hübsch: seine immer halb geschlossenen grauen Augen, die gelangweilte Überheblichkeit projizierten, seine schmalen Züge, die auch bei einer Frau attraktiv gewesen wären.
Im Grunde seines Wesens war er ein Künstler, ein hochbegabter Pianist, der sich seinen Lebensunterhalt ebensogut auf dem Konzertpodium wie auf der Gehe imdienstbühne hätte verdienen können. Michael vermutete, Graham sei durch die Heldentaten seines Vaters - »sein verdammter wundervoller Krieg«, hatte Graham einmal nach übermäßig viel Bordeaux geknurrt - zur Geheimdienstarbeit getrieben worden.
»Als der Senator dich gebeten hat, freiberuflich ein paar Nachforschungen über die Ulster Freedom Brigade anzustellen ...«, sagte Graham.
»Habe ich nicht gerade mit dem Fuß aufgestampft und mich geweigert.«
»Hat Elizabeth dein kleines Spiel durchschaut?«
»Elizabeth durchschaut alles. Sie ist Anwältin, oder hast du das vergessen? Und eine verdammt gute. Sie hätte auch eine hervorragende CIA-Agentin abgegeben.« Michael zögerte einen Augenblick. »Also, was kannst du mir über die Ulster Freedom Brigade erzählen?«
»Ausgesprochen wenig, fürchte ich.« Graham machte eine Pause und sah seinen Freund mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Wieder die üblichen Spielregeln, einverstanden, Michael?
Was ich an Informationen für dich habe, ist allein für dich bestimmt. Du darfst sie an keinen Angehörigen deines früheren Diensts weitergeben - oder eines anderen Diensts.«
Michael hob seine rechte Hand. »Pfadfinderehrenwort«, sagte er.
Graham sprach zwanzig Minuten ohne Pause. Die britischen Geheimdienste und Sicherheitsbehörden wußten nicht einmal, ob die Ulster Freedom Brigade fünf Mitglieder hatte oder fünfhundert. Hunderte von Mitgliedern protestantischer paramilitärischer Organisationen waren vernommen worden, aber keiner hatte einen brauchbaren Hinweis geliefert. Die Tatausführung ließ darauf schließen, daß die Gruppe Erfahrung hatte und über erhebliche Geldmittel verfügte. Und es gab deutliche Hinweise darauf, daß ihre Führer vor nichts zurückschreckten, wenn es darum ging, die Sicherheit der Gruppe zu gewährleisten. Charlie Bates, ein Protestant, der verdächtigt wurde, der Mörder Eamonn Dillons zu sein, war in einer Scheune bei Hillsborough im County Armagh erschossen aufgefunden worden, und beide Bombenleger von Dublin und London waren bei den Explosionen umgekommen - eine Tatsache, die bisher nicht bekanntgegeben worden war.
»Wir reden von Nordirland, nicht von Beirut«, sagte Graham.
»Die Nordiren verüben
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