Der Botschafter
trotzdem noch sehen.«
»Michael, wenn du sie wieder weckst, kannst du ...«
Michael ging auf Zehenspitzen ins Kinderzimmer. Die Betten der Zwillinge waren nebeneinandergestellt, damit Jake und Liza sich sehen konnten. Er blieb lange über sie gebeugt stehen und horchte auf ihre gleichmäßigen Atemzüge. Ein paar Minuten empfand er eine Ruhe und Zufriedenheit, die er lange nicht mehr gekannt hatte. Dann beschlichen ihn wieder die Sorgen und die Angst, seine Feinde könnten ihm oder seinen Kindern etwas antun. Als er das Telefon klingeln hörte, küßte er die beiden und ging leise hinaus.
Im Wohnzimmer hielt Elizabeth ihm den Telefonhörer hin.
»Adrian«, sagte sie nur.
Michael nahm ihr den Hörer aus der Hand. »Ja?«
Er hörte einige Minuten lang schweigend zu und murmelte dann nur: »Jesus!«
Er legte auf.
»Was ist passiert?« fragte Elizabeth.
»Ich muß nach London.«
»Wann?«
Michael sah auf seine Uhr. »Wenn ich mich beeile, erwische ich heute abend noch eine Maschine.«
Elizabeth musterte ihn besorgt. »Michael, so habe ich dich noch nie erlebt. Was ist passiert?«
Sehr früh am nächsten Morgen, als die Maschine der British Airways mit Michael an Bord sich im Anflug auf den Flughafen Heathrow befand, gingen Kyle Blake und Gavin Spencer in Portadown nebeneinander die Market High Street entlang. Im Osten färbte der heraufdämmernde Tag den Himmel graublau.
Die Straßenlampen brannten noch, und die Luft duftete nach taufeuchter Erde und frisch gebackenem Brot. Spencer bewegte sich mit der schlaksigen Gelassenheit eines Mannes, der kaum Sorgen hat, was an diesem Morgen nicht zutraf. Blake, der einen Kopf kleiner und sehr viel schlanker war, stapfte mit den leicht ruckartigen Bewegungen eines batteriegetriebenen Spielzeugroboters neben ihm her. Spencer sprach lange und strich sich immer wieder eine dicke schwarze Locke aus der Stirn. Blake hörte aufmerksam zu und zündete sich dabei eine Zigarette nach der anderen an.
»Vielleicht hast du dich geirrt«, meinte Blake schließlich.
»Vielleicht haben sie die Wahrheit gesagt. Vielleicht ist's wirklich nur eine Routinekontrolle gewesen.«
»Sie haben den Wagen gründlich durchsucht«, sagte Spencer.
»Und sie haben sich damit verdammt viel Zeit gelassen.«
»Hat irgendwas gefehlt?«
Spencer schüttelte den Kopf.
»Ich hab' die Scheißkiste von vorn bis hinten durchsucht, ohne etwas zu finden. Aber das hat nichts zu sagen. Wanzen sind heutzutage so klein, daß man eine in der Tasche haben könnte, ohne es zu ahnen.«
Blake ging einige Zeit schweigend weiter. Gavin Spencer war ein cleverer Mann, ein ausgezeichneter Operationsoffizier. Er gehörte nicht zu den Leuten, die Gefahren witterten, wo es keine gab.
»Wenn du recht hast - wenn sie's auf dich abgesehen gehabt haben -, bedeutet das, daß sie das Farmhaus überwachen.«
»Genau«, stimmte Spencer zu. »Und ich hatte dort gerade die erste Ladung Uzis versteckt! Diese Waffen brauche ich für das Attentat auf den Botschafter. Für Eamonn Dillon hat ein Einzeltäter mit einer Pistole genügt, aber für ein Attentat auf Cannon brauche ich weit mehr Feuerkraft.«
»Wie steht's mit dem Team?«
»Der letzte Mann reist heute nacht mit der Liverpooler Fähre nach England. Ab morgen abend sind vier meiner besten Jungs in London und warten auf den Einsatzbefehl. Aber ich brauche diese Uzis, Kyle.«
»Die holen wir.«
»Aber das Farmhaus wird überwacht.«
»Dann müssen wir die Bewacher eben ausschalten«, entschied Blake.
»Sie werden vermutlich vom SAS beschützt«, wandte Spencer ein. »Ich weiß nicht, wie du darüber denkst, aber ich habe im Augenblick keine große Lust, es mit dem gottverdammten SAS aufzunehmen.«
»Wir wissen, daß die Männer irgendwo dort draußen unterwegs sind. Wir müssen sie nur finden.« Blake machte halt und starrte Spencer durchdringend an. »Wenn die verdammte IRA es mit dem SAS aufnehmen kann, können wir's auch!«
24
LONDON
»Irgendwo in diesem Gebäude scheint es ein Leck zu geben«, sagte Graham Seymour.
Sie saßen im CIA-Flügel des Botschaftsgebäudes in einem schalldichten Glaskasten an einem Tisch: Michael, Graham, Wheaton und Douglas. Als Graham das sagte, zuckte Wheaton zusammen, als sehe er einen Schlag kommen, und begann seinen Tennisball zu drücken. Er war ein Mann, der überall Angriffe witterte, und in Grahams Tonfall - und in seinem arrogant gelangweilten Blick - lag etwas, das Wheaton noch nie hatte leiden können.
»Woher
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