Der Botschafter
die Türverkleidungen ab und sahen unter den Bodenteppichen nach. Sie öffneten den Kofferraum und kontrollierten den Inhalt.
Nach zehn Minuten machte einer der Ruc-Beamten Seymour ein stummes Zeichen, er solle zu ihnen kommen. In der Mulde unter dem Reserverad hatten sie in einem schmutzigen Plastikbeutel einige verdächtig aussehende Papiere entdeckt.
Graham ließ sich die Taschenlampe des Beamten geben, um die Papiere lesen zu können. Er blätterte sie rasch durch, merkte sich möglichst viele Einzelheiten und gab sie dem Uniformierten zurück.
»Wieder so hinlegen, wie Sie sie gefunden haben«, befahl er dem Mann. »Exakt wie vorher.«
Der RUC-Beamte nickte und führte den Befehl aus.
»Bringen Sie einen Minisender in dem Wagen an und lassen Sie ihn weiterfahren«, sagte Graham. »Und dann bringen Sie mich so schnell nach Belfast, wie Sie nur können. Wir haben ein ernstes Problem, fürchte ich.«
23
NEW YORK • PORTADOWN
Es war 19 Uhr, als Michael Osbourne die CIA-Station New York im World Trade Center verließ und ein Taxi anhielt. Seit seiner Rückkehr aus London waren fast zwei Wochen vergangen, und er gewöhnte sich allmählich an sein neues Berufsleben innerhalb der Agency. Im allgemeinen arbeitete er drei Tage in der Woche in Washington und zwei in New York.
Die Abteilung Spionageabwehr war dabei, ihre Untersuchungen im Mordfall Kevin Maguire abzuschließen, und Michael war zuversichtlich, daß seine Version der Ereignisse akzeptiert werden würde: Maguire war schon vor Michaels Reise nach Belfast von der IRA verdächtigt worden, und sein Tod war zwar bedauerlich, aber nicht Michaels Schuld.
Das Taxi kam nur im Kriechtempo voran. Michael dachte an Nordirland - an das schwach beleuchtete Belfast vom Black Mountain aus, an Kevin Maguires an einen Stuhl gefesselten, mißhandelten Körper. Er kurbelte das Fenster herunter und spürte die kalte Luft auf seinem Gesicht. Manchmal dachte er eine ganze Weile nicht an Maguire, aber nachts oder wenn er allein war, hatte er ständig Maguires entstelltes Gesicht vor sich.
Michael tat alles, damit die Informationen, die Maguire und Devlin ihm gegeben hatten, Früchte trugen; wurde die Ulster Freedom Brigade zerschlagen, war Kevin Maguires Tod wenigstens nicht vergeblich gewesen.
Der Taxifahrer war ein Araber mit dem unbeschnittenen Bart eines strenggläubigen Moslems. Michael hatte als Fahrtziel eine Adresse in der Madison Avenue angegeben - fünf Blocks von seiner Wohnung entfernt. Er bezahlte das Taxi und ging zu Fuß weiter, blieb manchmal stehen, um in Schaufenster zu sehen, und kontrollierte immer wieder, ob er beschattet wurde. Diese Angst saß ihm immer im Nacken: Daß irgendwann ein alter Feind aufkreuzen würde, um sich an ihm zu rächen. Er dachte an seinen Vater, der bis zu seinem Tod seinen Wage n nach Autobomben abgesucht, Telefone zerlegt und kontrolliert hatte, ob er beschattet wurde. Die zwanghafte Geheimhaltung war wie ein Leiden; die Angst glich einer alten, vertrauten Freundin.
Michael hatte sich damit abgefunden, daß sie ihn nie verlassen würde - dafür hatte ein Attentäter namens Oktober gesorgt.
Er ging nach Westen zur Fifth Avenue , bog dort rechts ab und folgte ihr nach Norden. Geheimdienstarbeit erforderte ungewöhnlich viel Geduld, aber in bezug auf Oktober war Michael ungeduldig. Im Dienst sichtete er jeden Morgen als erstes die eingegangenen Meldungen, weil er hoffte, Oktober sei irgendwo gesehen worden auf einem Bahnhof oder Flughafen -, aber die erhoffte Meldung war nie dabei. Je mehr Zeit verstrich, desto kälter wurde Oktobers Fährte.
Michael betrat das Haus und fuhr mit dem Lift zu ihrem Apartment hinauf. Elizabeth war schon daheim. Sie küßte ihn auf die Wange und gab ihm ein Glas Weißwein.
»Dein Gesicht sieht langsam fast wieder normal aus«, sagte sie.
»Ist das gut oder schlecht?«
Elizabeth küßte ihn auf den Mund. »Ganz entschieden gut.
Wie geht's dir?«
Michael betrachtete sie prüfend. »Was zum Teufel ist in dich gefahren?«
»Nichts, Sweetheart. Ich freue mich nur, dich zu sehen.«
»Ich freue mich auch, dich zu sehen. Wie ist's dir he ute ergangen?«
»Nicht schlecht«, antwortete sie. »Ich habe den Tag damit zugebracht, meinen Hauptzeugen auf seine Aussage vor Gericht vorzubereiten.«
»Glaubst du, daß er durchhält?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er klappt im Kreuzverhör zusammen, fürchte ich.«
»Sind die Kinder noch wach?«
»Sie schlafen gerade ein.«
»Ich möchte sie
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