Der Bourne Befehl
Estevan ihm nichts über die Pläne der Domna erzählen könne, so würde er bestimmt jemanden kennen, der mehr wusste.
Rosie rutschte auf ihrem Sitz hin und her. »Allein dass sie ihn zwingen mussten, für sie zu arbeiten, sagt doch eigentlich alles.«
»Er war nur ein Rädchen im Getriebe.«
»Alle außer den Direktoren sind Rädchen im Getriebe. So können sie sich darauf verlassen, dass nicht viel nach außen dringt. Estevan hat ihnen jedenfalls wertvolle Dienste geleistet.«
»Was genau?«
»Ölförderanlagen nutzen sich stark ab, es muss dauernd irgendetwas ausgetauscht werden. Ständig werden neue Teile bestellt, und die alten gehen zurück an den Hersteller, wenn du verstehst, was ich meine.«
Bourne verstand. »Was hat Estevan denn geschmuggelt?«
Rosie zuckte die Achseln. »Drogen, Waffen, ich glaube, sogar Menschen. Aber es kann alles Mögliche gewesen sein.«
»Hat Estevan es dir nicht erzählt?«
»Er hat es selbst nicht gewusst. Die versiegelten Kisten kamen und gingen. Sie waren immer irgendwie markiert. Er durfte sie nicht aufmachen. Seine Aufgabe war nur, sie weiterzuleiten.«
»Der Mensch ist neugierig«, beharrte Bourne. »Hat er nie hineingeguckt?«
»Sie waren speziell versiegelt. Und wenn er es doch geschafft hat, sie zu öffnen, ohne dass man’s merkt, dann hat er nicht darüber geredet.«
»Würde er dir so etwas verschweigen?«
»Du hast ja selbst gesehen, dass mich Estevan immer beschützen will. Er würde eher sterben, als mich in Gefahr zu bringen.«
Wieder mal eine Antwort, die keine ist , dachte Bourne.
Sie fuhren bereits durch die Altstadt von Cádiz mit ihrem scharfen Wechsel von Licht und Schatten. Überall war man von der detailreichen Architektur Nordafrikas umgeben. Es war, als wären sie in eine andere Welt eingetaucht: eine Welt zwischen Ost und West, die von beidem etwas hatte, aber zu keinem ganz gehörte.
Das Tageslicht wurde immer schwächer, und ein Gewitter lag in der Luft. Sie fuhren durch die gewundenen Straßen, hörten die Rufe der Straßenverkäufer in Spanisch und Arabisch und atmeten den Duft der Geschichte ein.
»Wo hast du gelernt, ein Boot zu steuern?«, fragte Marlon Etana, während er sich auf die Bank des Segelboots setzte.
»Ich bin eben immer für eine Überraschung gut«, antwortete Essai. »Auch ein Mann wie du weiß nicht alles über mich.«
»Ein Mann wie ich, der hergeschickt wurde, um einen Mann wie dich zu töten.«
Essai lachte. »Tja, die besten Pläne …«
Die beiden Männer hatten in dem Café erst einmal zusammen einen Kaffee getrunken und über dies und das geplaudert. Dann machten sie einen langen Spaziergang, bei dem sie ebenfalls keine wichtigen Dinge austauschten. Anders konnte es gar nicht sein. Ihre Beziehung war von strengster Geheimhaltung geprägt, sodass es ihnen selbst oft schwerfiel, über die Dinge zu sprechen, um die es bei ihren Treffen eigentlich ging.
Essai hatte ein Segelboot gemietet, und kurz nach Mittag waren sie aufgebrochen, als die Welt in Cádiz noch Siesta hielt. Die anderen Boote waren schon am frühen Morgen gestartet und würden erst am späten Nachmittag zurückkehren. Kein Mensch sah sie; es war niemand da außer dem Mann von der Bootsvermietung, und den interessierte nur das Geld, das er an seinen Kunden verdiente.
Es war ein klarer Tag, nur ein paar hohe Wolken zogen über den Himmel. Die Sonne brannte gnadenlos herab, doch der Wind war ideal zum Segeln. Essai lenkte das kleine Boot so gekonnt, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Sie glitten immer weiter hinaus, bis sich die Stadt in der Ferne verlor.
Erst als die Sonne unterging und sich der westliche Himmel bunt verfärbte, kamen sie allmählich zur Sache.
»El-Arian glaubt immer noch, dass du mich hasst, nicht wahr?«, sagte Essai.
»Mehr als je zuvor.« Etanas Schädel schimmerte, doch sein dunkler Bart schluckte das Licht. »Ich wollte mich eigentlich um Bourne kümmern, aber Benjamin hat mich auf dich angesetzt.«
»Der listige Hundesohn hat Viktor Tscherkesow angeheuert. Tscherkesow hat Boris Karpow in der Hand – und der lässt sich normalerweise von keinem etwas vorschreiben.«
Von seinem Platz im Cockpit blickte Etana auf das Wasser hinunter; die kobaltblaue Fläche war mit orangefarbenen Streifen durchzogen. »Ich glaube, das ist nicht der einzige Grund, warum er Tscherkesow an Bord geholt hat.«
Essai, der am Steuer stand, drehte sich zu ihm um. »Ach ja?«
Etana stützte die Ellbogen auf seine sehnigen,
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