Der Bourne Betrug
miteinander verfeindet waren, denn die Behauptung, alle Terroristengruppen würden von ein bis zwei Männern, sogar von einer Handvoll Männer kontrolliert, gehörte zu den erfolgreicheren amerikanischen Lügen. Eine lächerliche Vorstellung: Es gab so viele alte Feindseligkeiten zwischen den Sekten, so viele unterschiedliche Zielsetzungen, die sich überlagerten und störten. Trotzdem hielt sich dieser Mythos hartnäckig. Fadi, der im Westen studiert hatte und die Grundlagen der Massenkommunikation meisterhaft beherrschte, setzte die Lüge der Amerikaner gegen ihre Urheber ein und vermehrte so den Ruf der Dujja und seinen eigenen.
Während Muta ibn Aziz mit Katja durch das unterirdische Labyrinth zu ihrem Gespräch mit Fadi und ihrem Ehemann unterwegs war, lieà es sich nicht vermeiden, über den fundamentalen Keil nachzudenken, der seinen Bruder und ihn entzweit hatte. Die ursprüngliche Meinungsverschiedenheit lag schon drei Jahre zurück, aber ihre jeweiligen Positionen hatten sich seit damals nur verhärtet. Der Keil hatte einen Namen: Sarah ibn Aschaf, Fadis und Karim al-Jamils einzige Schwester. Sarahs Ermordung hatte ihrer aller Leben verändert; sie
hatte Geheimnisse, Lügen und Feindseligkeit hervorgebracht, die es früher nicht gegeben hatte. Auf offensichtliche und weniger offenkundige Weise hatte ihr Tod zwei Familien zerstört. Nach jener Nacht in Odessa, als Sarah die Arme hochgeworfen und aufs StraÃenpflaster geknallt war, waren Muta ibn Aziz und sein Bruder miteinander fertig gewesen. Nach auÃen hin hatten sie so getan, als sei nichts passiert, aber innerlich bewegten ihre Gedanken sich nie mehr auf parallelen Bahnen. Sie waren dauerhaft entzweit.
Als Muta ibn Aziz um die nächste Ecke bog, sah er seinen Bruder aus einer offenen Tür treten und ihn mit gekrümmtem Zeigefinger zu sich heranwinken. Diese Geste hasste er. Sein älterer Bruder spielte wieder einmal den Lehrer, der einen Schüler vortreten lässt, um ihm einen Verweis zu erteilen.
»Ah, da bist du ja«, sagte Abbud ibn Aziz, als habe sein Bruder sich verlaufen und sei deshalb zu spät dran.
Muta ibn Aziz bemühte sich, ihn zu ignorieren. Indem er Katja über die Schwelle schob, drängte er sich wortlos an ihm vorbei.
Obwohl der Bunkerraum groà war, wirkte seine notwendigerweise niedrige Decke bedrückend. Die Einrichtung war strikt funktionell: sechs Stühle aus Kunststoffguss, ein Tisch mit Metallplatte, an der Wand links zwei Hängeschränke, darunter ein Ausguss und eine Arbeitsplatte, auf der eine elektrische Kochplatte stand.
Fadi stand so, dass er den Hereinkommenden entgegensah. Seine Hände lagen auf den Schultern Dr. Veintrops, der offenbar unter Zwang auf einem der Stühle saÃ.
»Katja!«, rief er, als er sie sah. Er strahlte, aber das Leuchten in seinem Blick erlosch gleich wieder, als er aufzuspringen versuchte und daran gehindert wurde.
Fadi, dessen Hände Veintrop auf seinem Stuhl festhielten, nickte Muta ibn Aziz zu, der die junge Frau loslieÃ. Mit einem
erstickten Schrei rannte sie zu ihrem Mann, kniete neben ihm nieder.
Veintrop liebkoste ihr Haar, ihr Gesicht, lieà seine Finger über alle Konturen gleiten, als müsse er sich vergewissern, dass sie kein Trugbild oder eine Doppelgängerin war. Er hatte gesehen, wie unglaublich Dr. Andurskij Karim al-Jamils Gesicht verändert hatte. Was konnte den Chirurgen daran hindern, irgendeine andere russische Frau umzugestalten, sie in eine Katja zu verwandeln, die ihren Mann belügen und die Befehle der Terroristen ausführen würde?
Seit Fadi ihn »angeworben« hatte, lag Veintrops Paranoiaschwelle sehr tief. Alle hatten sich gegen ihn verschworen, um ihn zu versklaven. Mit dieser Vermutung hatte er durchaus nicht unrecht.
»Nachdem Sie nun mehr oder weniger wiedervereint sind«, sagte Fadi zu Dr. Veintrop, »möchte ich, dass Sie zu mauern aufhören. Wir haben einen bestimmten Zeitplan, den Ihre Hinhaltetaktik gefährdet.«
»Ich halte Sie nicht hin«, behauptete Veintrop. »Die Mikroschaltungen â¦Â« Er fuhr zusammen und brach ab, als Fadi den Druck auf seine Schultern verstärkte.
Fadi nickte Abbud ibn Aziz zu, der den Raum verlieÃ. Als er zurückkam, brachte er den Atomphysiker Dr. Senarz mit.
»Dr. Senarz«, sagte Fadi, »erzählen Sie mir bitte, wieso der Atomsprengkörper, dessen Bau ich angeordnet
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