Der Bourne Verrat: Roman (German Edition)
entweichen, ehe er den Splitter mit einem kräftigen Ruck herauszog. Das Blut strömte aus der Wunde, doch sie war sauber und würde bald zu bluten aufhören.
Tropfnass ging er zurück in die Küche, öffnete die Hintertür und warf sich, nackt wie er war, mit dem Gesicht voraus in den Schnee. Die Kälte würde die Schwellung hemmen und die Schmerzen betäuben. Als er genug hatte, drehte er sich auf den Rücken und betäubte auch die Stichwunde.
Einige Minuten später rappelte er sich auf, ging wieder hinein und durchsuchte die Küchenschränke, bis er eine Packung Speisenatron fand. Er schüttete das Pulver in eine Schüssel, gab etwas Wasser dazu und verrührte es zu einem dicken Brei. Er stieß den Atem zischend zwischen den Zähnen hervor, während er die Paste auf seine Brandwunden auftrug wie eine Salbe, um die Wunden zu schützen und den Heilungsprozess zu fördern.
Im Badezimmer fand er eine Tube mit einer antibiotischen Salbe sowie den Rest der starken Antibiotika, die Rebekka zurückgelassen hatte. Auf dem Etikett stand ihr Name und eine Adresse in Stockholm. Der Schmerz ließ bereits nach, das Natron zog ihn förmlich heraus. Etwas später würde er sich noch einmal im Schnee kühlen.
Er spülte zwei Antibiotika-Tabletten mit einem Bier hinunter, das er im Kühlschrank gefunden hatte. Er zog sein Messer aus dem Holzfußboden und schritt im Zimmer auf und ab wie ein Tiger, bis er spürte, wie seine Kräfte zurückkehrten.
Lächelnd betrachtete er das Etikett auf dem Antibiotika-Fläschchen. Ihre Adresse in Stockholm. Er würde sie wiederfinden, und diesmal – das schwor er sich – würde keiner von ihnen überleben.
10
»Mögen Sie Filme?«, fragte Don Fernando bei Frühstückskaffee und Croissants im Le Fleur en Ile.
»Natürlich mag ich Filme«, antwortete Martha Christiana. »Wer nicht?«
Nach dem Abendessen am Vorabend hatten sie sich für heute Morgen verabredet. Er hatte sie nach dem Essen nicht in seine Wohnung eingeladen. Er fragte sich, ob sie deswegen von ihm enttäuscht war.
»Ich meine alte Filme. Klassiker.«
»Noch besser.« Sie nahm einen Schluck aus ihrer großen Kaffeetasse. Durch das Fenster hatte man einen wunderbaren Blick auf die prachtvolle Notre-Dame-Kathedrale, deren Strebebögen sich wie Flügel ausbreiteten. »Aber viele alte Filme sind nicht die Klassiker, als die sie gelten. Haben Sie zum Beispiel Wenn die Gondeln Trauer tragen gesehen? Der Streifen ist teilweise absurd und unverständlich.«
»Ich habe eher an Luis Buñuels Der Würgeengel gedacht.«
Sie schüttelte den Kopf. Ihre Augen leuchteten im morgendlichen Licht. »Hab ich nie gesehen.«
Nachdem er ihr kurz den Inhalt geschildert hatte, sagte sie: »Diese Leute sitzen in dem Haus fest und können es nicht verlassen, so wie wir selbst in unserem Leben gefangen sind. Sie streiten und lieben sich und sind am Ende müde und gelangweilt. Manche sterben.« Sie schnaubte verächtlich. »Das ist nicht Kunst, das ist das Leben!«
»Das stimmt wohl.«
»Ich dachte, Buñuel wäre ein Surrealist.«
»Im Grunde war er ein Satiriker.«
»Ehrlich gesagt kann ich an dem Film nichts Komisches erkennen.«
Don Fernando ebenfalls nicht, doch darum ging es nicht. Er hatte an den Film denken müssen, weil Martha ein Würgeengel war. Er wusste, wer und was sie war. Es war nicht das erste Mal, dass er einer Frau von ihrer Sorte begegnete. Und es würde wahrscheinlich nicht das letzte Mal sein, sofern er sie überlebte.
Er war sich absolut sicher, dass sie eine Sendbotin des Bösen war. Nicodemo hatte sie geschickt. Die Tatsache war ermutigend. Er kam seinem Ziel also näher, und deshalb sollte ihn diese Frau nun ausschalten.
Er lächelte seinem Würgeengel zu. »Als ich den Film zum ersten Mal sah, saß ich neben Salvador Dalí.«
»Wirklich?« Sie legte den Kopf auf die Seite. Sie trug ein Chanel-Kostüm von der Farbe des Sonnenaufgangs, dazu eine cremefarbene Seidenbluse. »Wie war das?«
»Ich sah fast nur seinen verdammten Schnurrbart.«
Ihr Lachen war so seidenweich wie ihre Bluse. »Hat er irgendwas gesagt?«
»Dalí sagte nie etwas, außer um die Leute zu schocken. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.«
Ihre Hand überschritt eine unsichtbare Grenze: Ihre Finger griffen nach seinen. »Sie führen so ein faszinierendes Leben.«
Er zuckte mit den Achseln. »Vermutlich mehr als manche, aber weniger als andere.«
Das schräg hereinfallende Sonnenlicht ließ ihre Augen glänzen wie frisch geschliffene
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