Der Brandstifter
genervtes Stöhnen verkneifen. Es war zehn nach sechs, und das Mandantengespräch dauerte nun schon über drei Stunden. Das war freilich nicht weiter überraschend, denn der Verkauf der britischen Standorte von Pientotel an Kionacom war der größte Deal, an dem ich je mitgearbeitet hatte, und als federführende Anwältin hätte mich das eigentlich begeistern müssen. Ich schaute in die Runde und sah Stirnrunzeln bei der versammelten Chefetage von Kionacom, als die Ressortleiter von Preyhard Gunther für die Bereiche Steuern, Immobilien, Finanzen, Lohn/Gehalt und Personal Bericht über das Wertfeststellungsverfahren erstatteten, das wir für die Vermögenswerte von Pientotel vorgenommen hatten. Wie viel lieber wäre ich jetzt woanders gewesen.
Der Konferenzraum befand sich in der obersten Etage des Firmensitzes von Preyhard Gunther. Meistens wehte hier oben ein raues Lüftchen, das aber jetzt so heftig war, dass ich den Seniorchef, der die Besprechung leitete, kaum verstehen konnte. Nach dem nervösen Papiergeraschel um mich herum zu urteilen, war ich nicht die Einzige, die sich gern wieder ihrem Tagesgeschäft zuwenden würde. In meinem Büro türmte sich unerledigte Arbeit, die ich schon vor Wochen hätte bewältigen müssen. Eigentlich war es überhaupt nicht meine Art, Sachen schleifen zu lassen, aber ebenso ungewöhnlich war es auch, mich Hals über Kopf in eine leidenschaftliche und unvernünftige Affäre mit einem extrem unpassenden und vereinnahmenden Mann zu stürzen. Bei dem Gedanken an Gil wurde mir richtig übel. Der ganze Druck hatte mir ziemlich zugesetzt, und ich hatte ein paar höchst fragwürdige Entscheidungen getroffen, aber das war jetzt aus und vorbei. Inzwischen war ich wieder auf Kurs.
Ich schüttelte mich innerlich und zwang mich, aufrecht zu sitzen und mich, so gut es ging, zu konzentrieren– nur um festzustellen, dass die Besprechung sich schließlich doch noch dem Ende näherte. Sofort begann ich eine Prioritätenliste zu erstellen, merkte jedoch, wie ich nach Position 6 (Aktualisierung der Recherchen über die einzelnen Standorte hinsichtlich der derzeitigen Direktoren und Teilhaber) schon wieder gedanklich abschweifte. Vor mir lag eine weitere Nachtschicht im Büro, die ich mir selbst auferlegt hatte, weil ich sonst ernstliche Probleme bekommen würde. Obwohl ich Gil kein bisschen vermisste, fehlte es mir schon jetzt, ein Privatleben zu haben.
Wie lächerlich.
Ich widmete mich wieder meiner Liste, überlegte, welche Aufgaben abzuarbeiten, welche E-Mails zu schreiben, welche Unterlagen zu prüfen waren, und ergänzte immer neue Punkte. Angesichts der Fülle konnte einem schon himmelangst werden, denn das war weitaus mehr Arbeit als für einen Abend.
Das einzig Gute an meiner Daueranwesenheit im Büro war, dass ich im Prinzip unerreichbar war. Die Geschenkserie hatte noch an dem Tag eingesetzt, als ich mich von ihm getrennt hatte– teure und ganz entzückende Schmuckstücke: ein goldener Perlenanhänger in Form einer Blüte; ein rohes Stück Amethyst, das aussah wie ein in Eis eingeschlossenes violettes Stiefmütterchen; ein winziges Miniaturporträt eines Mädchens mit blondem Haar und rotem Mündchen aus dem 18. Jahrhundert; eine japanische Netsuke-Figur in Form eines Esels, vermutlich ein Hinweis auf meine Sturheit. Ich sammelte sie in einem Karton unter meinem Schreibtisch, gefährlich nahe am Papierkorb. Falls die Reinigungskraft sie einmal versehentlich entsorgen sollte, wäre ich nicht allzu traurig darüber. Außerdem kamen täglich Blumen. Aber ich hatte Martine gebeten, sie mir gar nicht erst zu zeigen. Sie interessierten mich nicht. Es war mir egal.
Ungeduldig wippte ich mit dem Fuß. Komm schon, Louise. Konzentrier dich.
» Ich denke, damit sind wir für heute am Ende. Falls nicht noch weiterer Klärungsbedarf besteht.« Der Seniorchef sah sich erwartungsvoll am Tisch um.
Wie aufs Stichwort wurde die Tür aufgeklinkt. Genau wie alle anderen im Raum reckte ich den Hals, um zu sehen, was los war, und stellte verwundert und ziemlich entsetzt fest, dass es Martine war, die ganz bestürzt aussah.
» Es tut mir furchtbar leid, dass ich störe«, erklärte sie, » aber ich müsste dringend Louise sprechen.«
Ich war schon aufgestanden und ging– beunruhigt, aber auch ein wenig verärgert über ihre Ungeduld– um den Tisch herum. Die Besprechung war so gut wie beendet. Es war ausgesprochen peinlich, vorzeitig herausgebeten zu werden. Ich konnte mir nicht erklären, was der
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