Der Brandstifter
loswerden. Der dicke, ältere Polizist saß mit starrem Blick und versteinerter Miene auf dem Sofa. Wenn ich mich ganz ruhig verhielt und genau auf das hörte, was die Frau sagte, würde schon alles klargehen.
Sie vermuteten, dass Rebecca ein Opfer des Serienmörders geworden war, der es in Südlondon auf einsame Frauen abgesehen hatte. Oder zumindest hatte es den Anschein, dass sie ihm zum Opfer gefallen war, hatte die Frau von der Kripo gesagt, deren seltsam leuchtende graue Augen mich auf sehr beunruhigende Weise beobachteten. Sie waren sich noch nicht sicher. Sie mussten das noch überprüfen.
» Wie… überprüfen Sie das denn?«, presste ich durch die Lippen.
Es würde eine Obduktion geben. Eine rechtsmedizinische Untersuchung des Leichnams, sobald dieser durch einen Angehörigen eindeutig identifiziert war.
Rebecca. Ein Leichnam.
Das war real. Das passierte jetzt. Mir. Ich war die beste Freundin des Opfers. Ihren Leichnam hatte man heute Morgen gefunden. Brennend. Vom Rauch verrußte Haut, versengtes Haar, lodernde Flammen, ihr Gesicht, nicht daran denken, nicht denken… Ich würde die Handschrift des Brandstifters erkennen, sagte die Frau von der Kripo mit ihrer klangvollen Stimme, den dunklen Schatten unter den hellen Augen und dem schmalen, konzentrierten Gesicht.
Meine Gedanken schweiften ab von ihren Worten. Ich musste zuhören.
» …nach der Autopsie kann es eine Weile dauern, bis der Leichnam der Familie übergeben wird. Das ist manchmal nicht so einfach. Kennen Sie die Familie?«
» Ja«, antwortete ich. » Es sind nur ihre Eltern. Sie war ein Einzelkind.«
Ihre Hand, die meine ergreift in einer dunklen Nacht, während wir zusammen über das Kopfsteinpflaster rennen, über einen Platz, vorbei am bernsteinfarbenen Licht, das aus einem Lesesaal fällt, den Kopf gesenkt, um dem kalten Wind zu trotzen, der beißende Geruch von Wein in ihrem Atem, das aus ihr hervorbrechende Lachen über etwas, das sie getan hatte, aber lieber nicht hätte tun sollen, etwas, von dem ich kaum glauben konnte, dass sie es getan hatte, und das mir nicht mehr einfiel. Du bist die Schwester, die ich nie hatte, Lou.
» Sie haben gesagt, dass Sie schon eine Weile nichts mehr von Rebecca gehört hatten– war das ungewöhnlich?«
Meine Stimme hörte sich fremd an in meinen Ohren. » Ziemlich. Wir sind befreundet, seit wir 18 sind. Kennen gelernt haben wir uns an der Uni.«
Das traf nicht annähernd die Wahrheit über Rebecca und mich. Es machte nicht im Ansatz deutlich, wie nahe wir uns gestanden hatten. Ihr Gesicht war mir vertrauter gewesen als mein eigenes. Mit geschlossenen Augen hätte ich ihre Schritte erkannt. Sie hatte mich zu der gemacht, die ich war.
Ich hatte sie geliebt, wie so viele andere auch, aber der Unterschied war, dass ich wusste: Sie liebte mich auch.
Ihr hatte ich mein Leben anvertraut.
Und jetzt war sie tot.
Die Polizistin sah mich besorgt an. » Ich hole Ihnen ein Glas Wasser.«
Ich sah zu, wie sie die Küchentür öffnete, und in dem Moment war mir klar, dass ich heftigen Ärger bekommen würde. In Gedanken ging ich durch die übrige Wohnung und dachte an die Dinge, die ich bewegt hatte, die Flächen, die ich geschrubbt, und die Beweise, die ich vermutlich vernichtet hatte. Ich war so ziemlich überall gewesen. Ich hatte nichts ausgelassen. Ich wusste, dass es nichts gab, das die Polizei finden konnte. Die große Kripo-Frau würde enttäuscht sein. Sie würde wissen wollen, warum ich so gründlich gewesen war, und dafür gab es nur eine Antwort, auch wenn ich nicht glaubte, dass sie sie verstehen würde.
Ich hatte es für Rebecca getan. Meine Rebecca.
Alles war immer nur für sie gewesen.
3
Maeve
Die Säuberungsaktion von Louise hatte zumindest den Vorteil, dass die Küche für die Arbeit der Spurensicherung ohnehin derart unbrauchbar war, dass ich uns allen problemlos einen Tee machen konnte. Im Kühlschrank fand ich eine noch nicht abgelaufene Tüte Milch. Ansonsten war er so gut wie leer– bis auf ein paar Senfgläser, eine Flasche Ketchup, eine Geschenkpackung Pralinen (die bis Februar haltbar war und ungeöffnet sicher schon seit Weihnachten hier stand) und reichlich Weißwein. Eine ganze Etage des Kühlschranks war für Kosmetik reserviert: Augencremes, teure Feuchtigkeitslotionen und Nagellackflaschen.
Auf der Anrichte stand eine Schachtel Frühstücksflocken, die ich probehalber schüttelte. Sie war zu zwei Dritteln leer. Von so etwas hatte sich Rebecca also ernährt, wenn
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