Der Brandstifter
hindeutete. Ich trat an die Tür und schaute hinaus zu den gegenüberliegenden Wohnungen, wo es auf den meisten Balkonen Blumentöpfe und Rankgitter gab, die sich gegen das Licht von drinnen abzeichneten. Ich selbst hatte dafür ebenfalls keinen Sinn und hätte mir auch nicht die Mühe gemacht, irgendetwas zu pflanzen. Vor allem, wenn der Balkon so klein war, dass man nicht einmal dort sitzen konnte. Der Wohnblock auf der anderen Seite der schmalen Straße wirkte wie ein verglaster Bienenstock: Das Leben der Bewohner war quasi öffentlich zu beobachten. Ich sah, wie ein Pärchen sich offenbar höchst leidenschaftlich küsste, ein Mann seine Laufschuhe schnürte und eine stämmige Frau auf dem Sofa saß, Chips aß und dabei fernsah.
» Genau wie Das Fenster zum Hof, oder?« Sam hatte sich nicht die Mühe gemacht aufzustehen, reckte jedoch den Hals, um auch etwas zu sehen.
» Hmm. Wenn ich hier wohnen würde, hätte ich wahrscheinlich gar keinen Fernseher. Die Aussicht ist doch wesentlich unterhaltsamer.«
» Für dich vielleicht. Dir wurde doch die Neugier in die Wiege gelegt, Maeve.«
Ich grinste ihn an. » Wie hast du das nur erraten?«
» Nun, das würde schon mal deine Berufswahl erklären.« Sam lehnte sich zurück und streckte die Arme über den Kopf, wobei er sich nicht die Bohne um die Schweißflecken auf seinem Hemd scherte, die gezackte Umrisse bildeten wie Salzpfannen in der Wüste.
» Und was ist deine Ausrede?«
» Mir ist nichts Besseres eingefallen«, erwiderte er betrübt. » Ziemlich naiv war ich damals. Und schau mich jetzt an.«
» Tja, naiv kommt einem da wirklich nicht als Erstes in den Sinn.«
Ich kehrte der Aussicht auf das Leben anderer Menschen den Rücken und wandte mich dem einzigen Möbelstück zu, das mich näher interessierte. In einer Ecke stand ein schmales Bücherregal mit einer bunten Mischung von Prosawerken sowie drei gerahmten Fotos, die ich interessiert betrachtete. Auf allen war eine blonde Frau zu sehen, von der ich annahm, dass es Rebecca Haworth war, obwohl die Leiche, die ich am Morgen gesehen hatte, aufgrund des geschwollenen und verfärbten Gesichts bis zur Unkenntlichkeit entstellt war. Zu Lebzeiten hatte sie ebenmäßige Züge und ein gewinnendes Lächeln gehabt, das makellos weiße Zähne erkennen ließ. Ihr Haar hatte im Laufe der Jahre die verschiedensten Blondtöne gehabt und war in letzter Zeit immer heller geworden. Auf einem der Bilder hatte sie die Arme um ein älteres Paar gelegt; ihre Eltern, nahm ich an. Die Frau war eine edel frisierte Blondine, bei deren Anblick man eine ungefähre Vorstellung davon bekam, wie ihre Tochter mit 50 einmal aussehen mochte. Rebecca hatte allerdings die Augen ihres Vaters– ungewöhnlich dunkelbraun, beinahe schwarz. Zusammen mit ihrem hellen Haar eine bestechende Kombination. Auf einem anderen Foto trug sie schwarz-weiße Kleidung– ein akademischer Talar war ihr von der Schulter geglitten. Mit zurückgeworfenem Kopf trank sie aus einer Champagnerflasche. Vermutlich zum Abschluss der Prüfungen, dachte ich und betrachtete das andere Mädchen auf dem Bild. Mein Interesse wuchs, als ich erkannte, dass es Louise North war. An der Uni war sie eine noch grauere Maus gewesen als jetzt, mit langem, glattem Haar und ziemlich trist gekleidet. Im Gegensatz zu ihrer Freundin war sie ungeschminkt und trug auch keinen Talar. Mit einem verlegenen Lächeln schaute sie nicht in die Kamera, sondern zu Rebecca. Das Opfer war also die Extrovertierte, während Louise die Kontrastfigur zu ihrer charismatischen Freundin war. Ich hatte es immer gehasst, in einer Freundschaft die zweite Geige zu spielen.
In meinem Rücken vernahm ich eine Stimme. » Das ist im ersten Studienjahr aufgenommen. Ich selbst habe ein gerahmtes Foto, das etwa zwei Sekunden später entstanden ist. Rebecca hatte gerade die Mods hinter sich. Ich hatte sie schon im Trimester davor abgelegt.«
» Mods?«, fragte ich nach und drehte mich zu Louise um, die mit wiedergewonnener Fassung mitten im Raum stand.
» Honour Moderations ist die offizielle Bezeichnung. Das sind die Prüfungen im ersten Jahr. Alles hat so alberne Namen in Oxford.«
Das letzte Wort hallte im Raum wider wie ein Donnerschlag. Oh, toll, dachte ich, jetzt soll ich wohl beeindruckt sein, dass Sie in Oxford studiert haben. Wie aufregend.
Sie war so freundlich, wenigstens ein bisschen beschämt dreinzuschauen. » Nicht dass Sie einen falschen Eindruck bekommen. Ich bin auf eine staatliche Schule
Weitere Kostenlose Bücher