Der Brandstifter
lächeln. Ohne richtig darüber nachgedacht zu haben, sagte ich plötzlich: » Ich wollte euch sagen, dass ich mir immer gewünscht habe, dass ihr meine Eltern seid. Mir ist klar, dass niemand Rebecca jemals ersetzen kann, aber wenn ihr euch mich als eine weitere Tochter vorstellen könntet, wäre ich so froh…«
Ich verstummte jäh, als ich das Entsetzen in Avrils Blick wahrnahm, kurz bevor ein höfliches Lächeln an dessen Stelle trat. Ich hatte einen ungeeigneten Moment erwischt und die falschen Worte gewählt. Avril war viel zu höflich, mir das zu sagen, aber wenn mir Ablehnung begegnete, erspürte ich sie sofort.
» Bevor wir es vergessen«, sagte Gerald hinter mir, wo er Teeblätter in die Kanne rieseln ließ, » wir möchten, dass du dir etwas von Rebeccas Sachen aussuchst. Ich glaube nicht, dass sie ein Testament gemacht hat, aber ganz sicher hätte sie sich gewünscht, dass du etwas von ihr, das dir etwas bedeutet, als Andenken behältst. Wir dachten, du sollst zuerst wählen, vor allen anderen, weil du schon heute Abend da bist.«
» Ich brauche aber wirklich nichts…«, setzte ich an, doch er schnitt mir mit erhobener Hand das Wort ab.
» Geh einfach hoch in ihr Zimmer und nimm dir etwas. Es liegt alles auf dem Bett. Uns ist es egal, was du dir aussuchst. Was du möchtest.«
» Wirklich, es ist uns ernst«, sagte nun auch Avril, die wieder lächelte, doch nun war das Lächeln echt. » Wir wollen es nicht wegwerfen, aber wir selbst können damit nichts mehr anfangen. Wir haben noch so vieles, das uns umgibt und uns an sie erinnert.«
Es war einfacher zuzustimmen, als mit ihnen zu streiten, obwohl ich nichts weniger wollte, als Rebeccas Zimmer zu betreten. Ich fühlte mich, als würde ich durch knietiefes Wasser waten, als ich hinausging und mich die Stufen zu ihrem Zimmer hinaufschleppte. Auf dem Treppenabsatz blieb ich einen Moment mit geschlossenen Augen stehen, doch schließlich stieß ich die vertraute, von der vierzehnjährigen Tilly etwas unbeholfen mit rosa Rosen bemalte Tür auf und blieb davor stehen. Jemand– Avril?– hatte ein Leinentuch über das Bett gebreitet und darauf kleine Stapel aus Kleidung, Schmuck und verschiedenem Krimskrams angeordnet. Der übrige Raum sah unverändert aus. Die blassblauen Vorhänge an den hohen Fenstern, die Tapete mit dem hübschen Blumenmuster, der flauschige graue Teppich mit dem Fleck neben dem Frisiertisch, wo vor langer Zeit ein Fläschchen Nagellack ausgelaufen war. An der einen Wand stand die hohe Kommode im georgianischen Stil, mit den Parfümfläschchen aus geschliffenem Glas und Silberdeckel darauf, die Rebecca so leidenschaftlich gesammelt hatte. In der Ecke der Sessel mit ihrem geliebten Kuschelhasen. Er war zu wertvoll, um ihn zur Uni oder nach London mitzunehmen, hatte sie mir einmal erklärt. Er wohnte lieber in ihrem Zimmer, da war er in Sicherheit.
Ich zwang mich, zu ihrem Bett zu gehen, vorbei an der Wand mit den gerahmten Fotos, die ich nicht ansah, denn ich wusste, wer darauf war– ich, noch ein paar andere und Rebecca, Rebecca, Rebecca… Ich betrachtete die Gegenstände auf dem Tuch, stocherte zögerlich mit dem Zeigefinger in einem Häufchen aus Ketten und Armbändern, nahm eine kleine Porzellanvase in die Hand und stellte sie wieder zurück auf den Frisiertisch. Sie hatte immer im Garten Blumen dafür geschnitten, erinnerte ich mich, ganz egal, welche Jahreszeit gerade war. Zu Weihnachten war es in Ermangelung anderer Pflanzen Stechpalme, deren grüner Duft den ganzen Raum erfüllte.
Ich nahm ihr College-Sweatshirt. Das würde wahrscheinlich sowieso niemand haben wollen. Niemand anders würde sich daran erinnern, wie sie auf dem Fußboden lag, dieses Sweatshirt über dem Schlafanzug, dabei trockene Cornflakes aus der Schachtel aß und versuchte, für ihre erste Prüfung religiöse Märtyrer der Tudorzeit auswendig zu lernen. Vom vielen Waschen war es an den Bündchen ausgeblichen, weich und etwas ausgeleiert. Ich drückte es kurz an mich und sah nach, was noch auf dem Bett lag. Die Haworths hatten gesagt, ich solle etwas Besonderes nehmen. Inmitten des Schmucks entdeckte ich ein Paar Ohrringe, die ich immer sehr gemocht hatte– viereckige Peridots, so grün wie saure Weingummis, die an dünnen Goldschlaufen hingen. Ich befreite sie aus dem Wirrwarr und ließ sie gerade in dem Moment in meine Hosentasche gleiten, als ich vom Treppenhaus her Schritte sich nahen hörte.
» Hast du etwas gefunden, Louise?« Lächelnd zeigte ich
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