Der Brandstifter
Armillarsphäre. Der Pfeil verläuft von Nord nach Süd. Wenn die Sonne darauf scheint, sollte man eigentlich anhand des Schattens, den der Pfeil auf den außen umlaufenden Ring wirft, die Zeit ablesen können. Wenn man genau hinschaut, kann man sehen, dass darauf die Stunden markiert sind.«
Ich betrachtete die Stelle, auf die sie zeigte, und entdeckte auf dem Messingreif schwer erkennbare Zeichen, die ich bei näherem Hinsehen als römische Zahlen deutete. » Können Sie das? Ich meine, die Zeit ablesen?«
» Ein bisschen.« Sie lächelte. » Mit einer normalen Uhr ist es natürlich einfacher. Aber das hier ist Geralds ganzer Stolz. Dieser kleine Garten ist der Hauptgrund, weshalb er das Haus überhaupt gekauft hat. Ursprünglich war es ein Nutzgarten, aber als er ihn sah, wusste er sofort, wie er ihn gestalten wollte. Er pflügte alles unter, legte die Beete an und pflanzte Rosen. Im Sommer sehen sie herrlich aus. Er mag nur alte Sorten wie Damaszener-Rosen, weil sie so wunderbar duften.« Sie deutete auf die Beete. » Sie haben alle einen Namen, sehen Sie?«
Es war mir zuvor gar nicht aufgefallen, dass unter jedem Strauch ein Täfelchen stand. Ich ging einmal rings herum und las die Schilder. Pompon de Princes. Comte de Chambord. Madame Hardy. La Ville de Bruxelles. Blanc de Vibert. Rose du Roi. Quatre Saisons.
» Wenn sie blühen, ist es einfach himmlisch. Aber den Rest des Jahres machen sie nur höllisch viel Arbeit.« Das sagte sie eher schwärmerisch als abfällig.
» Da kam Rebecca wohl ganz und gar nicht nach ihrem Vater, oder? In ihrer Wohnung hatte sie ja nicht mal einen Blumentopf.«
» Sie sah keinen Sinn darin. Außerdem hätte eine Pflanze nicht lange überlebt, wenn sie sich eine hingestellt hätte.« Louise schüttelte den Kopf. » Sie hatte genug mit sich selbst zu tun; sie schaffte es ja kaum, ihre Sachen wieder aus der Reinigung zu holen.«
Ich hörte Louise nur noch mit halbem Ohr zu. Etwas anderes hatte mein Interesse geweckt. Beim Kopfschütteln war ihr Schal ein wenig verrutscht, sodass der edle Stoff– vermutlich Kaschmir– ihren Hals ein Stück freigab. An der rechten Seite entdeckte ich einen oval geformten Bluterguss, der auf ihrer blassen Haut sehr auffiel und eindeutige Schlussfolgerungen zuließ. Da ihr Hals zuvor, als ich sie im Festzelt gesehen hatte, noch unbefleckt gewesen war, musste dieses eindeutig als Knutschfleck erkennbare Mal zweifelsohne in der Zwischenzeit entstanden sein.
» Das sieht aber nicht gut aus«, sagte ich sanft und zeigte auf die Stelle. » Vielleicht bedecken Sie das lieber, damit die Haworths es nicht sehen.«
Sofort legte sie ihre Hand darauf und wurde rot. Die meisten anderen hätten sich wahrscheinlich um eine Erklärung bemüht, selbst wenn sie offensichtlich gelogen war. Aber Louise North ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Sie lächelte mich stattdessen nichtssagend an und band lediglich ihren Schal fester um den Hals.
» Schon besser.«
Falls sie meinen spöttischen Tonfall herausgehört hatte, tat sie so, als hätte sie ihn nicht bemerkt. Sie schob den Mantelärmel zurück und sah auf die Uhr. Dabei wurde eine rötliche Strieme sichtbar, die oberhalb des Armbands um ihr schmales Handgelenk lief. Sie entdeckte sie im selben Augenblick wie ich und schüttelte hastig den Ärmel wieder herunter. » Jetzt muss ich mich aber auf den Weg machen.«
» Natürlich«, erwiderte ich höflich und trat ein Stück beiseite, um ihr Platz zu machen. Aber sie blieb stehen, biss sich auf die Lippe und wirkte plötzlich unsicher.
» DC Kerrigan, darf ich Sie um einen Gefallen bitten? Würden Sie mich bitte über die Ermittlungen auf dem Laufenden halten? Es ist nur… also… ich möchte gern wissen, wie Sie vorankommen. Ich gehöre zwar nicht direkt zur Familie, aber Rebecca war für mich wie eine Schwester. Ich muss immerzu daran denken, was ihr zugestoßen ist, und ich kann doch ihre Eltern nicht ständig mit meiner Fragerei belästigen.« Ihre Stimme überschlug sich ein wenig, und ihre Augen füllten sich plötzlich mit Tränen.
Ich versprach es ihr und sah ihr dann nach, wie sie mit gesenktem Kopf und um den Körper geschlungenen Armen den Garten verließ. Falls sie das alles nur spielte, war es höchst eindrucksvoll. Und wenn es echt war, dann brachte es mein Bild von Louise North noch mehr durcheinander, als es ohnehin schon war.
Als ich zum Festzelt zurückkam, hatte es sich schon merklich geleert. Nur die ganz Standhaften waren noch
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