Der Brandstifter
meine, ich habe mit ihr gesprochen und sie verhört. Sie war zwar völlig am Boden zerstört wegen der Sache, aber bestimmt nicht der Typ, der zu einem Mord fähig ist. Sie hätte gestanden, wenn sie es gewesen wäre. Sie war ja von der ganz weichen Sorte. Ich wage zu behaupten, dass Miss Haworth, mal abgesehen von Adam Rowleys Familie, einer der wenigen Menschen war, die seinen Tod tatsächlich bedauert haben.«
» Aber wer war es dann? Sie hatten doch bestimmt Ihre Vermutungen?«
» Hatte ich auch, habe ich auch. Aber ich will Ihnen keinen Floh ins Ohr setzen.« Mit entschiedener Geste klappte er die Akte zu und schob sie mir über den Tisch. » Bestimmt wollen Sie selbst einen Blick hineinwerfen. Ich habe mich dazu hinreißen lassen, über diesen alten Fall zu palavern, aber er ist mir wirklich im Gedächtnis geblieben. Gehen Sie den ganzen Papierkram selber durch und melden Sie sich wieder bei mir. Sagen Sie mir, was Sie davon halten.«
» Wie viel Zeit habe ich?«
» Kommt drauf an«, sagte Garland mir ernster Miene. » Wie groß ist denn Ihre Befürchtung, dass Rebeccas Mörder wieder zuschlägt?«
Eigentlich war ich entschlossen, die letzte Frage des pensionierten Kripobeamten unter Rhetorik zu verbuchen, doch als ich die St. Aldates zurückging– den Kopf zum Schutz vor der Kälte zwischen die Schultern gezogen und die Akte, die zu groß für meine Tasche war, an die Brust gedrückt–, musste ich doch wieder über die Verdächtigen nachdenken. Genau genommen dachte ich dabei nur an einen einzigen Verdächtigen. Und der hatte mit dem Schicksal von Adam Rowley wahrscheinlich nicht allzu viel zu tun. Diese Fahrt war ein klassischer Fall von Zeitverschwendung, aber ich konnte eben noch nie ungelöste Rätsel einfach auf sich beruhen lassen, und außerdem teilte ich Reid Garlands Ansicht, dass es mit dem Tod dieses Studenten mehr auf sich hatte, als bislang bewiesen war.
Auf der Hauptstraße entdeckte ich auf halbem Wege ein Café, wo ich es mir mit einem großen Becher Kaffee und einem Brötchen am Fenster bequem machte. Von dort aus konnte ich Fußgänger beobachten und die Busse zählen, die auf der kurvenreichen Straße hin und her dröhnten und sich vor der mittelalterlichen Kulisse eigentümlich modern ausnahmen. Das Café war proppenvoll mit Studenten, die sich an ihren Kaffeetassen festhielten und sich lautstark unterhielten. Beschaulich war es also nicht gerade, aber zum ersten Mal seit meiner Ankunft in der Stadt fror ich wenigstens nicht. Ungefähr eine Stunde hatte ich noch totzuschlagen, bis ich im Latimer College sein musste, und es schien mir sinnvoll, die Chance zu nutzen und mich weiter über Adam Rowleys verfrühten Tod zu informieren.
Garland hatte eine ausführliche Zusammenfassung des Falles zur Vorlage beim Untersuchungsgericht geschrieben, etwa dreißig Schreibmaschinenseiten über das Schicksal des Studenten. Ich überflog den Text, wobei ich nach Details Ausschau hielt, die der pensionierte DCI mir möglicherweise vergessen hatte mitzuteilen. Adam stammte aus Nottingham, war der jüngere von zwei Brüdern. Der Vater war Arzt. Auf seinem privilegierten Weg von privater Vorschule über Eliteschule nach Oxford hatte er aufgrund exzellenter Leistungen jedes nur mögliche Stipendium bekommen. Auch in Oxford konnte er sein hohes Leistungsniveau beibehalten und fand außerdem noch genug Zeit, mit zahllosen Studienkolleginnen herumzuflirten. Den letzten Vormittag seines Lebens hatte er allein in seinem Zimmer verbracht. Die Studenten des ersten und dritten Studienjahres waren direkt im College untergebracht, und Rowley bewohnte ein Zimmer, das Garland als ganz besonders hübsch beschrieb, im ersten Stock des Gartenhauses mit Blick über den Fluss. Der Scout, eine Art Hausmeister für seinen Wohnheimtrakt, hatte um zehn vor elf mit ihm gesprochen, als er zu einem Seminar in einem anderen College gehen wollte. Nach seiner Rückkehr hatte er in der Mensa zu Mittag gegessen und dann seinen Nachmittag teils in der Bibliothek des Colleges und teils im Gemeinschaftsraum der jüngeren Semester verbracht. Gegen sechs Uhr hatte er dann in der Mensa zu Abend gegessen. (Garland hatte hier eine Anmerkung eingefügt, um zu erläutern, dass das Mensa-Essen für Stipendiaten kostenlos war– Rowley war durch gute Ergebnisse bei seinen ersten Zwischenprüfungen in den Genuss dieses Status gekommen und wusste die entsprechenden Vergünstigungen ausgiebig zu nutzen.) Um acht Uhr hatte er die College-Bar
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