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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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würde kommen, wie es kommen mußte.
    Und doch überkam mich ein sehr seltsames Gefühl, als ich den Turm vor mir auftauchen sah: Mir war, als liege vor mir etwas, was mich seltsam erregte. Ich hatte plötzlich das Gefühl, daß das, was in den letzten Wochen geschehen war, den Schlußpunkt unter eine Lebensphase dargestellt hatte. Das dachte ich nicht nur im Hinblick auf meine Gesellenzeit als lavorante , die nun fast vorüber war, es war eher so, daß mich etwas ansprang,was ich nicht greifen konnte, von dem ich aber wußte, daß es existierte. Daniele sagte später, daß dies keinesfalls etwas Sonderbares sei, wenn man Dinge vorhersehe. Aber in diesem Augenblick hätte ich nicht sagen können, daß ich hier, bei Anbruch der Dämmerung, auf dem Weg zu einem Mann, den ich nicht kannte, etwas vorhersehe.
    Zurückschauen hätte ich selbstverständlich können, auch wenn mein Wissen für diese Rückschau aus zweiter Hand stammte, da ich zu jung gewesen war, um die Zeit Lorenzo il Magnificos mitzuerleben. Da gab es diese sogenannte Platonische Akademie, die Cosimo der Alte 1459 zusammen mit einem Freund gegründet hatte, ein Ort, an dem sich die Gelehrten von Florenz zusammenfanden, um über Platons Philosophie zu diskutieren und jene kennenzulernen, die auf diesem Gebiet führend waren wie zum Beispiel Marsilio Ficino.
    Junge Männer aus vornehmen Häusern besuchten diese Akademie jeden Tag voller Eifer, trafen sich in den Gärten, den sogenannten Lackmusgärten, und es war klar, daß sie sich ganz gewiß nicht über die neuesten Erfolge bei der Seidenraupenzucht unterhielten. Hier ging es um die Übersetzungen von Teilen der ›Ilias‹ ins Latein, die ein Freund von Lorenzo mit noch nicht einmal achtzehn Jahren gemacht hatte, oder um die Übertragungen von Platon und Plotin durch Marsilio Ficino. Giovanni Pico della Mirandola gehörte ebenfalls zu dieser Gruppe von Männern, er sprach Griechisch, Latein, Arabisch, Hebräisch und Chaldäisch, und von Lorenzos Lehrer Cristoforo Landino hieß es, daß er die Schriften Dantes und Petrarcas besser kenne als irgendwer sonst. Und es hieß ebenfalls, daß Lorenzo den jungen Michelangelo zu sich an den Hof geholt habe, um ihn an den Sitzungen der Akademie teilnehmen zu lassen, auch wenn er ein ziemlich grober, unzugänglicher Mensch gewesen sei.
    Als ich endlich reichlich verschwitzt und den Kopf voller Gedanken den schmalen Landesteg unterhalb des Turms erreichte, war ich froh, mein Boot verlassen zu dürfen. Ich vertäute es an einem Poller und trat durch eine schmale Pforte in der Mauer, die das Anwesen gegen den Fluß hin abschirmte. In einem winzigen Garten neben dem Turm mit einem Zitronenbaum und einer Feige, kaum ein paar Ellen breit und lang, arbeitete ein Gärtner, zu dem ich freundlich hinübergrüßte. Der Mann richtete sich auf, wischte sich den Schweiß von der Stirn, schaute mich verblüfft an und kam mir dann rasch entgegen.
    Entschuldigt, ich muß die Zeit vergessen haben. Ich fürchte, ich bin ein schrecklich nachlässiger Gastgeber, sagte er in der volgare , der toskanischen Umgangssprache.
    Ich stand vor ihm, wir waren beide etwa gleich groß, aber jetzt wurde mir ganz eindeutig klar, daß er nicht zu Lorenzos Freunden gehört haben konnte: Nardo Cattaneo war kaum älter als ich. Da ich nicht wußte, wie ich antworten sollte, in Florentinisch oder in der Sprache des Volkes, entschied ich mich schließlich für letztere, was mir ein Gefühl der Sicherheit verlieh. Und außerdem das Gefühl, daß wir zusammengehörten, weil wir in derselben Sprache redeten.
    Nardo wusch sich die Hände in einem Regenfaß neben dem Haus und führte mich dann in eine Loggia, die seitlich der Zugbrücke an den Turm angebaut war. Dann schaute er prüfend an sich hinunter. Stört es Euch sehr, wenn ich einfach so bleibe, wie ich bin? fragte er lächelnd. Auch wenn ich gewiß nicht zu Euch passe in diesem Aufzug. Aber diese ganze Umzieherei – es stiehlt einem immer soviel Zeit, das Kostbarste, was ein Mensch besitzt.
    Ich schluckte. Die letzten Stunden vor meiner Truhe mit ihrem armseligen Inhalt und meine Bemühungen um korrekte Kleidung zogen vor meinem inneren Auge vorüber, und ich konnte nicht anders, ich mußte lachen.
    Als er mich fragend anschaute, erzählte ich ihm alles. Aber der mazzocchio ist wunderbar, sagte er schmunzelnd, er gehört wirklich zur neuesten Mode. Und die Beinkleider natürlich auch. Danach schien das Eis gebrochen. Wir setzten uns an den gedeckten

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