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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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Nachtschatten der breiten Eukalyptuskrone. Ich denke, Nardo hat die Kapelle von Messer Orelli gesehen, an der ich mitgearbeitet habe, oder etwa nicht?
    Wieder lachte sie leise. Nardo hat diese Kapelle nie gesehen – ich meine, nachdem du sie ausgemalt hast.
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Nardo hat meine Bilder nie gesehen? Wieso hat er mich dann eingeladen? Er kannte mich doch nicht.
    Sie erhob sich aus der Hängematte, kniete sich neben mir nieder. Dann fuhr sie mit einem Finger über mein Gesicht, ließ ihn für einen Augenblick auf meinen Lippen ruhen. Er nicht, sagte sie. Aber ich.
    Ihr kanntet mich? Woher denn? fragte ich mehr als verblüfft.
    Das ist eine lange Geschichte, erwiderte sie und streckte sich wieder in ihrer Matte aus. Sie ist nicht nur lang, sie ist ungewöhnlich dazu. Und ich bin nicht einmal sicher, ob du sie mir überhaupt glaubst.
    Kann ich sie hören? fragte ich zögernd und zugleich mit einer Spur von Unbehagen.
    Sie seufzte. Ja, du kannst sie hören, auch wenn ich nicht weiß, ob es gut ist. Ob es heute, in dieser Nacht, gut ist, sagte sie, und mich beschlich plötzlich das Gefühl, daß sie recht haben könnte.
    Vereinzelte Sternschnuppen rasten noch immer über den Himmel, und mir fiel ein, daß ich mir nicht ein einziges Mal etwas gewünscht hatte.
    Sie versuchte, in der schwankenden Matte einen Halt zu finden, seufzte wieder. Als ich dich zum erstenmal sah, warst du noch sehr jung. Du warst ein Kind und gingst an jenem Tag in Savonarolas Zug mit, an jenem Palmsonntag, an dem es achttausend gewesen sein sollen: achttausend Kinder, die nicht wußten, um was es eigentlich ging.
    Ich wollte sie unterbrechen, doch sie hob abwehrend die Hand. Ein paar Reihen vor dir ging ein Mädchen, das offensichtlich noch jünger war als du und genau wie du bereit war, diesem frate alles zu geben, was an Kraft in ihr steckte, um das Kreuz zu tragen, das an diesem Tag alle trugen. Als sie kurz vor dem Zusammenbrechen stand und ihr Kreuz nicht mehr tragen konnte, gingst du zu ihr und nahmst es ihr ab. Deine Hände färbten sich dabei rot. Zunächst dachte ich, es sei Blut. Ich stand an der Straße wie die übrigen Erwachsenen und erwog bereits, zu dir zu gehen und dich von diesen beiden Kreuzen, die du nun zu tragen hattest, zu befreien. Aber dann wurde mir klar, daß das Rot kein Blut war, es war Farbe.
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Das, das kann nicht wahr sein!
    Es ist so, sagte sie leicht amüsiert. Weshalb sollte ich lügen?
    Und dann? Habt Ihr mich wieder gesehen?
    Ja, später. Viel später. Ich sah dich in einer Nacht, als ich am Arno spazierenging. Ich sah dich in einem alten Fischerboot auf den Arno hinausfahren, und ich nahm zunächst an, du wolltest dich ins Wasser stürzen. Aber dann sah ich, wie du die Posaune an die Lippen gesetzt hast. Und ich erschrak. Ich erschrak sogar gewaltig. Ich sah dich da stehen, hochaufgerichtet wie den Engel Gabriel, blieb wie erstarrt am Ufer stehen und konnte den Blick nicht von dir lösen. Und natürlich dachte ich an Bilder vom Jüngsten Gericht, an das ich ja nicht glaube.
    Wieder war Stille, eine noch größere als zuvor, falls es so etwas gab. Ich hatte Mühe zu verarbeiten, was sie mir erzählte.
    Aber wo liegt der Sinn dieser … Beobachtungen? fragte ich dann, ohne auch nur irgend etwas zu begreifen. Woher wußtet Ihr überhaupt von mir? Man stellt sich nicht an die Straße, um einem Zug zuzuschauen, zu dem die ganze Stadt unterwegs ist, nur weil man sich für einen einzigen Menschen interessiert, den man nicht kennt.
    Und wieder lachte sie, diesmal freilich zögernd. Ich kannte dich ja.
    Ich fiel vor Verblüffung nahezu aus der Hängematte. Ihr kanntet mich? Woher?
    Von deinen Seidenraupen.
    Ich reckte meinen Kopf in ihre Richtung, obwohl ich inzwischen wußte, daß ich ihr Gesicht nicht klar erkennen würde. Von den Seidenraupen? Da war ich kaum älter als … als … Ich weiß nicht mehr, wie alt ich da war.
    Ich weiß es ebenfalls nicht mehr. Ich erinnere mich nicht an Jahreszahlen und Lebensjahre. Ich weiß nur, daß ich eines Tages durch ein geöffnetes Fenster in diese Halle schaute. Und dich dabei entdeckte, wie du mit deinen Raupen beschäftigt warst. Du hast gerade – sie zögerte –, du hast gerade einen Käfig verschlossen und …
    Und woher kanntet Ihr die Halle? unterbrach ich sie erregt.
    Nun, sie gehörte uns. Zumindest zum Teil, weil mein Vater und mein Großvater am Besitz der Orellis beteiligt waren. Und als ich

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