Der Brennende Salamander
Tage und Nächte dauernde Wüten der Spanier in Prato, sollte ebenfalls vorüber und vergessen sein. Die Hunderte von Ermordeten waren in Massengräbern beerdigt worden, denn kaum jemand wußte noch, wer zu wem gehörte, da die, die es hätten wissen können, in den meisten Fällen ebenfalls nicht mehr lebten. Der Geruch der verkohlten Leichen, den der Wind tagelang über das Land getrieben hatte, war inzwischen verschwunden – ein Grund mehr, alles dem Vergessen anheimzugeben.
Und im übrigen waren es die Spanier, wie es hieß, die dies alles getan hatten, die Fremden. Die Spanier waren die Bösen, den Papst traf kaum ein Hauch der Schuld. Die Spuren, die bei denen, die auch nur einen Bruchteil der Greuel miterlebt hatten, zurückgeblieben waren, ließen sich vermutlich nie mehr tilgen. Daniele führte an manchen Tagen wunderliche Selbstgespräche und schreckte manchmal mitten in der Nacht schreiend empor. Wenn Brigida ihn hörte, schlich sie zu ihm in seine Kammer und tröstete ihn, oft stundenlang. An manchen Tagen überlegte ich, ob ich nicht ebenfalls Alpträume vortäuschen sollte, um von ihr getröstet zu werden. Aber seltsamerweise hatten Rocco und ich das Inferno offenbar besser überstanden.
Die Medici waren also eingezogen. Die Regierung zahlte ihnen eine Abfindung von einhundertfünfzigtausend Florin, und damit schien der Weg geebnet, schienen sich die Wogen zu glätten. Wie rasch sie es taten, war für uns alle erstaunlich: Schon bliesen die Parforcehörner wieder zur Jagd, da auch die neuen Medici die Vergnügung mit Falken und Habichten liebten. Musik war überall in der Stadt zu hören, Feste wurden gefeiert, die halben Nächte hindurch wie in früheren Zeiten. Das Goldene Zeitalter wurde heraufbeschworen, Giovanni de Medici war ein Mann, der in der Kunst und der Literatur einen Namen hatte. Was uns Maler anbetraf, so hofften wir, daß uns nun endlich etwas ermöglicht würde, was wir seinerzeit verpaßt hatten: daß Rocco und ich auf so etwas wie die Platonische Akademie gehen konnten, für die wir damals zu jung gewesen waren. Aber es war klar, daß wir als innocenti dort kaum Aufnahme gefunden hätten. Trotzdem erhoffte ich mir irgendwas in dieser Richtung, ohne recht zu wissen, was es sein sollte – es gab keinerlei Anzeichen dafür, daß es je wieder eine solche Akademie geben würde. Und so nahm ich den Spott, den ich deswegen erntete, gelassen hin.
Nun, wann feiert ihr denn Platos Geburtstag in diesem Jahr? spottete Vincenzo, der inzwischen bei uns im Atelier eingezogen war. Wißt ihr überhaupt, wann er war?
Rocco schwieg, vermied jeden Streit und sorgte dafür, daß unsere gemeinsame Arbeit in der Kapelle in Fiesole gut voranging.
Aber der tote Lorenzo il Magnifico war mir inzwischen ständig zugegen, und obwohl ich keine Selbstgespräche führte wie Daniele, so memorierte ich doch Lorenzos Gedichte, auch wenn sie niemand hören wollte.
Brigida hatte sich nach jenem Erlebnis des Schreckens in Prato zunächst seltsamerweise völlig von mir zurückgezogen. Auch mit dem Malen hatte sie aufgehört, so als habe sie sich nie dafür begeistert. Einmal sah ich sie in ihrer Kammer sitzen, Daniele hockte zu ihren Füßen und las ihr aus der Bibel vor. Manchmal band er auch Pinsel, Pinsel aus Bärenhaaren, Fehhaaren, Pinsel aus Ziegen-, Iltis-, Marder- oder Wieselhaaren, eine Arbeit, die er besonders zu lieben schien, vermutlich weil er dabei nicht ins Sinnieren geriet. Wir hatten inzwischen einen solchen Vorrat von Pinseln, daß Rocco ihm irgendwann Einhalt gebot und ihm empfahl, in die Stadt zu gehen, um sich abzulenken. Mir riet er, das gleiche zu tun, obwohl ich die Sache wesentlich besser verkraftet hatte. Während eines solchen Spaziergangs durch die Stadt kam ich eines Tages am Geschäft jenes Kürschners vorbei, bei dem ich damals den Fehbesatz für Brigida gekauft hatte. Er erkannte mich wieder und sagte dann bedauernd, daß manche Menschen nie erreichten, was sie sich so über alle Maßen wünschten. Dieser Messer Noldani zum Beispiel habe ja vermutlich nie mit seiner Braut in diesen bescheidenen Kammern über der Bäckerei in Prato wohnen wollen, er habe wesentlich ehrgeizigere Pläne gehabt.
Ich nickte und sagte, daß es jetzt unwichtig war, dies zu überlegen, da es dafür zu spät sei.
Aber auf meinem Heimweg mußte ich dann feststellen, daß sich die Vergangenheit doch nicht so rasch verdrängen ließ. Immer wieder stand in aller Deutlichkeit vor mir, was in jenen zwei Tagen
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