Der Brenner und der liebe Gott
geregnet, und dass ihm in dem Moment, wo er auf die Straße hinaus ist, die Worte »Zone der Durchsichtigkeit« durch den Kopf geschossen sind, darüber hat er später noch oft nachgedacht, ja was glaubst du. Weil seien wir uns ganz ehrlich, du denkst als normaler Mensch nicht »Zone der Durchsichtigkeit«, und wenn du zehnmal aus einem Polizeigebäude in den Regen hinausgehst und auf der Uhr siehst, dass das Unglück genau dreißig Stunden her ist.
An und für sich hat dem Brenner Regen nie viel ausgemacht, und wenn der Scheibenwischer ihm schön die Windschutzscheibe geputzt hat, das war für ihn immer eine beruhigende Meditation. Die Helena sowieso ganz verliebt in den Scheibenwischer, oft hat er ihn beim schönsten Wetter kurz eingeschaltet, nur damit sie ihre Freude hat. Aber wenn du als Chauffeur ohne Auto im Regen stehst, ist das natürlich subjektiv der Moment, wo du begreifst, dass du eine Krise hast. Und die riesige Reisetasche hat die Sache auch nicht gerade leichter gemacht.
Jetzt musst du wissen, Krise immer Chance! Und bevor dir der Brenner zu sehr leid tut, wie er da ohne Auto und ohne Job und ohne Wohnung und ohne Schirm und ohne Plan und nur mit seiner billigen Reisetasche und dem lästigen Hirnwurm »Zone der Durchsichtigkeit« im Regen steht, muss ich dir eines sagen. Wenn es nicht geregnet hätte, wenn der Brenner nicht so deprimiert durch den Regen spaziert wäre, als hätte er noch nie was von einer Straßenbahn, von einer U-Bahn, von einem Taxi gehört, wäre es ihm vielleicht gar nicht aufgefallen.
Aber wenn dir im Regen ein glatzköpfiger Mann lange nachgeht, dann fragst du dich irgendwann, wieso tut der das. Noch dazu hat der genau wie der Brenner keinen Schirm gehabt, aber im Gegensatz zum Brenner nicht einmal Haare. Eine Vollglatze wäre bei Regen vielleicht sogar ein Vorteil, weil du nachher wenigstens keine nassen Haare hast. Aber sein Verfolger hat so eine altmodische Glatze gehabt, mit einem Haarkranz rundherum, sprich das Schlechteste bei Regen, weil dir die Tropfen schutzlos auf die Glatze hämmern, aber nasse Haare trotzdem.
Der Ärger über diesen Verfolger hat dem Brenner ein bisschen aus seiner Lethargie herausgeholfen. Ich weiß bis heute nicht, was ihn mehr geärgert hat. Dass sie ihn immer noch verdächtigen und beschatten lassen oder dass der Glatzkopf es so dilettantisch macht.
Und da hast du wieder einmal den besten Beweis dafür, dass es auf der Welt nichts gibt, das nicht auch sein Gutes hat. Weil der normale Wiener Bewohner findet es vielleicht deprimierend, dass jeden Tag ein neues Wettcafe aufsperrt, aber für den rein detektivischen Straßengebrauch ist es wieder günstig, wenn du im nächstbesten Wettcafe-Eingang auf deinen Verfolger warten kannst.
»Häng dir beim nächsten Mal ein Schild mit der Aufschrift »Beschattung« um!«, hat der Brenner dem tapferen Verfolger geraten, wie der fast in ihn hineingerannt ist. »Dann ist es vielleicht unauffälliger.«
Und natürlich nicht nur das Gesicht, sondern der ganze Glatzkopf rot angelaufen, nur die Lippen weiß, wie sie gesagt haben: »Ich muss mit Ihnen reden.«
»Das hättest du auch einfacher haben können.«
»Ich wollte sichergehen, dass wir nicht beschattet werden.«
Und in dem Moment, wo der Mann ihm die Hand hinstreckt, fällt dem Brenner ein, wo er die Überschrift »Zone der Durchsichtigkeit« gelesen hat.
»Sebastian Knoll«, hat der Mann sich freundlich vorgestellt.
Ich weiß nicht, ist es an der schlaflosen Nacht im Polizeigefängnis gelegen oder einfach an dem Schockzustand, in dem der Brenner seit dreißig Stunden war, dass er auf einmal das Gefühl gehabt hat, sich am Türstock der offenen Eingangstür festhalten zu müssen, um nicht in einen Fiebertraum zu versinken.
Im grünen Licht des Wettcafe-Schriftzugs hat er überdeutlich gesehen, wie die riesengroßen Regentropfen in den Haarkranz vom Knoll gekrabbelt sind. Die violetten Besenreiser, die der Mann um einen uralten, längst zugewachsenen Einstich am Ohrläppchen gehabt hat, sind dem Brenner wie ein Geheimzeichen vorgekommen, entweder von einer Sekte oder von Außerirdischen. Durch die offene Tür hat man Rennpferde und Rennhunde und Rennautos über die Bildschirme flimmern gesehen, draußen ist eine unnatürlich rote Straßenbahn elegant durch die Regengischt gesegelt, und über der Tür hat das Entlüftungsgerät mit dem Verkehr um die Wette gerauscht, während nur ein paar Zentimeter vor dem
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