Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
Bernhard , 8./9. November 1974 Salzburg geschrieben (die Jahreszahl ist eine Fehldatierung):
»Rudolf Rach begleitete mich zum Flughafen, er berichtete mir über den jüngsten Stand der Lage: Bernhards Stück ›Die Macht der Gewohnheit‹ soll in Salzburg uraufgeführt werden und danach von der neuen Suhrkamp-Theater-Produktions-Gesellschaft auf Gastspielreise gesandt werden. Das Recht erwirbt die Suhrkamp AG Zürich von Bernhard direkt und gibt es an Frankfurt; am Morgen des 8. November war die erste Überweisung der Suhrkamp AG Zürich getätigt: DM 20.000.— von Zürich an Thomas Bernhard.
Rach erzählte mir, der Regisseur Dorn hätte ihm erklärt, zwar die Uraufführung inszenieren zu können, aber keine Schauspieler zu finden, die in der Lage seien, anschließend sechs Wochen oder gar zwei oder drei Monate zu reisen.
Mit diesem Bescheid stieg ich ins Flugzeug. Meine Fluglektüre war der Text ›Die Macht der Gewohnheit‹, das neue Stück von Thomas Bernhard. Der Text, ein ganzer Bernhard. Thema: Sinn und Unsinn des Künstlerischen in einer zu Ende gehenden Welt, die ja nur von Kranken und Krüppeln regiert wird. Bernhard handelt sein Thema klar und hart ab, und doch ist es ihm gelungen, es leicht, fast heiter, als eine Komödie umzusetzen. Es gibt selbstverständlich keine ›Geschichte‹, fünf Personen, ein 6ojähriger Zirkusdirektor, der versucht, mit einer Gruppe, seiner ihm ergebenen 20jährigen Enkelin, einem Jongleur, einem Dompteur und einem Spaßmacher, das ›Forellenquintett‹ einzustudieren. Nie gelingt eine Probe, nie schaffen sie die Perfektion, immer kommt irgend etwas dazwischen; der Jongleur erhält ein großes Angebot vom Zirkus ›Sarrasani‹ (›selbst das Genie / wird noch einmal größenwahnsinnig / wenn es ums Geld geht‹); dem Dompteur wird von dem Löwen Max ein Stück Fleisch ausgerissen, er muß aber weiter am Klavier Schubert spielen, schließlich zertrümmert er das Klavier; der Jongleur ist der intellektuelle Gegenpartner, eine Art Super-Thomas Bernhard, der Spaßmacher versucht intrikate Scherze. Am Schluß zerstört der Spaßmacher das Klavier, wiederum gelingt die Probe des ›Forellenquintetts‹ nicht, alles bricht zusammen, erschöpft lehnt sich am Schluß der Zirkusdirektor in seinem Stuhl zurück, öffnet zur Erholung das Radio, und hier kommen vollkommene Töne aus dem ›Forellenquintett‹ heraus.
Die Sprache ist ein völliges Stakkato, keine durchgehenden Sätze, alles Ausrufesätze, sehr pointiert. Der Spaßmacher, ›er hat nicht zu lachen. Er hat nichts zu lachen.‹
Ein Stück, das Bernhard – sicherlich in irgendeiner Art Anlehnung an Strawinskys ›Geschichte vom Soldaten‹ – für den Zirkus der Salzburger Festspiele geschrieben hat, und er will es auch als Wanderzirkus durch die deutschen Lande schicken, ein Theater soll dieses Stück nicht aufführen; ich kann mir vorstellen, daß dieses Stück, artistisch gut gemacht, vielleicht das erfolgreichste Stück von Thomas Bernhard werden kann.
Er holte mich in Salzburg ab, gut gelaunt; wir übernachteten im ›Österreichischen Hof‹, aßen gut zu Mittag, tranken reichlich Wein und waren dann bis 17 Uhr zusammen. Er war reizend, liebenswürdig, lud mich ein; um 15 Uhr gingen wir dann auf mein Zimmer und pirschten uns an die ›heiklen Themen‹ heran: an seinen Saldo von DM 94.500.— (ohne die Zürcher Zahlung von DM 20.000.—); dann wollte er die Erhöhung seiner monatlichen Zahlungen; er war sehr froh, daß ich ihm melden konnte, daß das Konto I [siehe Brief 215], also seine Werke bis hin zu ›Ignorant‹ und ›Gehen‹, ausgeglichen war! Dies nach Jahren. Wir hätten von nun an die Sache streichen müssen. Eben solch eine Vereinbarung traf ich mit ihm im Hinblick auf die DM 74.500.—; DM 20.000.— bleiben als Option stehen, die DM 74.500.— sind am 31. 12. 1974 entweder ausgeglichen (überschüssiges Honorar wird ihm überwiesen) oder verfallen zu unseren Ungunsten. Ich kann mir aber vorstellen, daß wir diese DM 74.500.— durch Publikationen, vor allem aber durch die Aufführungsrechte ›Jagdgesellschaft‹ und anschließende Fernsehrechte hereinbekommen. Er wollte dann die monatliche Zahlung erhöht sehen auf DM 1.500.—, das lehnte ich ab, ich sagte, daß ich bereit sei, ab 1. 1. 1974 einen monatlichen Betrag von DM 1.250.— zu zahlen. Er sah das zunächst ein. Ziemlich hart wurden dann die Auseinandersetzungen im Hinblick auf den Erscheinungstermin der ›Korrektur‹.
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