Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
hatte, war ich wirklich entsetzt. Die Szene: ein Fernsehmoderator und die ›drei Spitzen des Staates‹: Bundespräsident Carstens, Bundeskanzler Schmidt und Außenminister Genscher. Sie sollten, um Wählerstimmen für ihre Partei zu gewinnen, alles Mögliche oder Unmögliche machen und am Schluß die Gewissensfrage beantworten: ›Sind Sie im Herzen Nationalsozialist?‹ Und alle Politiker antworten: ›Wie aus der Pistole geschossen‹: ›Ja.‹ Mir war sofort klar, daß ich das nicht drucken und im Buch verewigen werde. Aber mir war auch die Konsequenz dieser Zurückweisung klar: das Stück eines so bedeutenden Autors nicht zu bringen, ein Stück, das schon einmal vorabgedruckt war und in Bochum aufgeführt werden sollte, das wäre in den Augen der Öffentlichkeit Zensur, und das hätte auch gegenüber Autoren Folgen. In einiger Zeit würde das Motiv für meine Zensur vergessen sein, nur die Tatsache bliebe auf ewig vorhanden.
Ich schickte den Text an Jürgen Becker, Martin Walser und Max Frisch. Alle Autoren waren der Meinung, daß man das nicht drucken kann. Übrigens waren alle überrascht, daß niemand auf den Abdruck in ›Theater heute‹ reagiert hatte. Martin Walser wollte sofort dagegen schreiben, ich hielt ihn im Hinblick auf mein Gespräch mit Thomas Bernhard ab.
Ich hatte also doch eine gewisse Rückenstärkung für meinen festen Entschluß.
Ich stand früh auf, um diese Dramolette zu lesen. Inzwischen hat Bernhard noch zwei weitere dazugeschrieben, es sind insgesamt sieben an der Zahl: ›A Doda‹ [ Die Zeit , 12. Dezember 1980] – ›Match‹ – ›Der deutsche Mittagstisch‹ – ›Maiandacht‹ – ›Alles oder Nichts‹ – ›Eis‹ – ›Freispruch‹.
Alles wirklich Kabarett-Texte. Meist nur billig-witzig. ›Der deutsche Mittagstisch‹ war in der ›Zeit‹ [19. Dezember 1979] abgedruckt, auch hier der Satz: ›Der neue Bundespräsident ist ein Nazi‹, was der Ururenkel quittiert: ›Und der alte Bundespräsident war auch ein Nazi‹, was den ältesten Enkel veranlaßt zu sagen: ›Die Deutschen sind alle Nazis.‹ Auch das hätte ich nicht gebracht. Sicher soll man das Thema des Nazismus diskutieren, und wir Deutsche müssen hier nicht aus einer Kollektivschuld, sondern aus einer Kollektivscham heraus vieles aushalten, aber es muß dann vermittelt sein und darf nicht als billiger Gag erscheinen.
Übrigens ist das Dramolett ›Eis‹ das einzige, was wirklich literarisches Niveau hat. Aber auch hier braucht Bernhard die zwei anonym gebliebenen Ministerpräsidenten als Figuren, braucht er wirklich diesen vordergründigen Skandal? Auf dem Flug habe ich dann ›Am Ziel‹ gelesen. Das hat mir doch auch nach der zweiten oder dritten Lektüre sehr gut gefallen. Im Grunde genommen ist das ja ein Stück über das Schöpferische eines Schriftstellers. ›Was ist das Geheimnisvolle an den Künstlern? Das Besondere? Sie sind anders. Das ist wahr.‹ Über den Schriftsteller: ›Er nennt sein Stück ja auch «Rette sich wer kann», weil es klar ist, daß sich niemand rettet.‹ Und dann wieder eine andere Einsicht: ›Entweder man ist ein klassischer Schriftsteller von vornherein, oder man ist es nicht.‹
Das Flugzeug war auf die Minute pünktlich, und Thomas Bernhard war da. Ich übermittelte ihm die Grüße von Hilde, Burgel Zeeh und Dr. Guth; ja, Dr. Guth, er habe gehört, er hätte ihn eingeladen nach der Premiere [von Am Ziel am 18. August 1981], aber er sei gar nicht da, er würde auch nicht zur Premiere kommen. Einen Tag vorher verreise er für zehn Tage in die Steiermark. Ohne Adresse.
Unser erster Ort war ein Café an der Salzach. Wir fanden einen Tisch im Schatten und direkt am Fluß, trotz der 25 Grad war es durch ein leichtes Lüftchen angenehm. […]
Wieder einmal machte ich die Erfahrung: je besser man die Texte des Autors kennt und je genauer man seinen Kontenstand im Kopf hat, um so besser ist mit ihm zu sprechen und zu verhandeln. Ich werde diese zwei Stunden im Café nicht vergessen. Wir saßen da in einer Touristenwelt, immer wieder kam der oder jener auf Bernhard oder mich zu, um ihn oder mich zu begrüßen. Vor uns an der Salzach jene Touristen, die immer nur die anderen für Touristen halten. […]
Er war, wie meist, bestens informiert. Die Fernsehaufzeichnung [der Salzburger Inszenierung von] ›Am Ziel‹ ist gescheitert. Schuld daran ist nicht ein Verhalten von seiten der Festspielleitung oder des ORF oder der politischen Behörden ihm gegenüber, schuld ist auch nicht
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