Der Briefwechsel
sich präzise
326 an sein Wort. Das ist verständlich. Dieses Wort gibt exakt seine Gefühle wieder, ist ein exakter Ausdruck seiner Sensibilität. Aber die Schauspieler haben eine andere Sensibilität, und exakt auf den richtigen Ausdruck an Sensibilität kommt es hier an. Und so ist hier überall eine Diskrepanz zu sehen, die die Glaubwürdigkeit des Filmes doch anzweifelt. Der Film wird seinen Weg machen als Stadium der Filmgeschichte, weniger als Kintopp. Ulrich Greiner, der vor kurzem in der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹ ›Das Gewicht der Welt‹ von Handke verrissen hat, schreibt einen Tag später in der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹: ›Der Film befindet sich in einem ruhigen Einverständnis mit dem, was er zeigt: er ist die Ruhe selber. Daraus spricht kein Fatalismus, eher eine neugierige, sehnsüchtige Hingabe an das, was man im Deutschen «Leben» nennt. Handke setzt also eine Befreiung von den Zwängen des täglichen Existenzkampfes voraus – luxuriös, aber auch antizipatorisch.‹ Greiners Besprechung ist neutral, die meisten anderen Besprechungen sind sehr kritisch.«
[258; Anschrift: Clamart]
Frankfurt am Main
26. September 1977
Lieber Peter,
hab Dank für Deinen sehr liebenswürdigen Brief. Wir sollten uns halt einfach öfter sehen.
Auch ich fand die Abendstunde im Park-Hotel angenehm und anregend.
Auf den Film warte ich sehr gerne. Ich bin gespannt.
Besonders freue ich mich, daß Du wieder jene konzentrierte Lust empfindest, die zum Schreiben nötig ist. Ich werde Geduld haben, weil ich sicher bin, daß Du wirklich Bedeutendes schaffst.
Während ich dies diktiere, ist Sonntag, draußen ein herrlicher blauer erfüllter Herbsthimmel. Du siehst, ich mache
327 es schon so, »beim Arbeiten im Haus immer wieder aus dem Fenster zu schauen«.
Herzliche Grüße,
Dein
[Siegfried Unseld]
(nach Diktat verreist)
i. A. Dagmar Hoffmann
Sekretariat
[259]
[Clamart]
17. Oktober 1977
Lieber Siegfried,
ich werde nun doch nicht am Freitag nach Frankfurt kommen. Ich fühle mich im Moment auch nicht imstande, unter offiziellen Leuten zu sein. (Damit meine ich natürlich nicht Dich.) Ich freue mich sehr, daß Du diese Medaille kriegst; sie verdient Dich. 1
Hier geht es gut; viele Gedanken, ein paar brauchbar, einige wenige, die mehr sind. Ich habe nur ein großes Bedürfnis nach Alleinsein, und das Mädchen, das wegen Amina im Haus ist, beschränkt irgendwie meine Phantasie; d. h., ich selber beschränke mich eher.
So hoffe ich, Dich Anfang Dezember hier zu sehen und mit Dir schön zusammenzusein. – Gestern abend war ich am Montparnasse in dem Restaurant »Aux Îles Marquises« (wo wir auch einmal waren), und beim Weggehen sah ich tatsächlich den großen Dichter 2 mit jungen Amerikanern an der Bar stehen, wie ein von Jüngern angeregter Wissenschaftler. Ich geisterte vorbei.
Für heute herzlich,
Dein Peter
1
328 Am 21. Oktober 1977 überreichte Oberbürgermeister Walter Wallmann S. U. die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt am Main.
2
Samuel Beckett
[260; Anschrift: Clamart]
Frankfurt am Main
21. Oktober 1977
Lieber Peter,
hab herzlichen Dank für Deinen Brief vom 17. Oktober. Ich verstehe gut, daß Du es vorziehst, bei Dir zu bleiben. Wir versuchen hier, ohne Dich über die Runden zu kommen.
Wir haben an Schaffler ein Angebot gemacht; für die Übernahme des »Gewichts der Welt« als »suhrkamp taschenbuch« garantierten wir eine Startauflage von 50.000 Exemplaren.
Bis Anfang Dezember also –
herzlichst,
Dein
[Siegfried Unseld]
[261; handschriftlich; Briefbogen Road Movies, Berlin]
[Berlin]
8. November 1977
Lieber Siegfried,
ich schicke Dir das zweite Buch einer schwedischen Schriftstellerin mit einer Besprechung aus »Svenska Dagbladet« und einem »Gutachten« von Verena Reichel, der Übersetzerin Lars Gustafssons. Ich selber habe 1 Kapitel in einer provisorischen Übersetzung gelesen, und es gefiel mir sehr,
329 verschwiegen und klar. Es wäre schön, wenn eine Übersetzung im Suhrkamp Verlag erscheinen könnte.
Ich freue mich, Dich Anfang Dezember hier zu sehen. – Du hast ja einen Wunsch offen.
Viele Grüße
Dein Peter
[262; handschriftlich; Briefpapier Grand Hotel, Cabourg (Calvados)]
13. November 1977
Lieber Siegfried –
in unserem berühmten Hotel, wo es mir ordentlich kalt an die Füße zieht. Ich habe einen schönen Fensterplatz fürs Meeres-Schauspiel, welches heute recht kraftvoll ist. Ich will es studieren, weiß nur nicht,
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