Der Briefwechsel
6. Juli von Frankfurt nach Anchorage. Dort traf er F. C. Maye, seinen Regieassistenten bei Die linkshändige Frau . Von Alaska ging es mit dem Auto nach Seattle und weiter nach Billings/Montana. Von dort nahm er das Flugzeug nach New York, von wo er am 17. Juli nach Frankfurt am Main zurückflog.
[256; handschriftlich; Ansichtskarte: »61 miles north of Fairbanks on the mighty Yukon river is the farthest point north on the North American Continent you can reach by car.«]
[Circle City]
8. Juli 1977
Lieber Siegfried,
der Yukon River ist ein schöner Strom, es sind gar keine Schiffe darauf zu sehen, die Landschaft sieht von weitem wie bewohnt aus, aber nirgendswo ist jemand.
Viele Grüße
Peter
324 [257]
[Clamart]
16. September 1977
Lieber Siegfried,
jetzt bin ich wieder hier zurück und möchte Dir danken für die Stunden in Frankfurt. Man denkt: So könnte und sollte es also immer sein. 1 Der Film ist nun gemischt, und sobald es eine fertige Kopie gibt, wird sie Dir nach Frankfurt geschickt zu einer privaten Vorführung. Die Erwähnung der Erzählung hat irgendwie doch nicht in den Film gepasst (es ist so, wie wenn man einen Pelz erwähnt), und so kommt sie auf das Plakat. Der Film scheint mir zum großen Teil ganz einfach und selbstverständlich, aber für mich verliert er doch ein paar Minuten zwischendurch sein sonst Zwingendes. Aber den andern gefällt er sehr, sogar der sonst sehr kritischen Hauptdarstellerin. Kintopp ist es freilich nicht. 2
Nun hoffe ich wieder Ruhe zu finden zum Selbsterkennen, woraus dann die Formen fürs Schreiben kommen. Gestern abend im Haus fühlte ich schon wieder eine Art Humor, ganz neu, mit dem ich das Buch in Bewegung bringen und halten könnte. Hab halt Geduld, es wird sicher insgesamt noch 1 1 / 2 bis 2 Jahre dauern bis zur Fertigstellung. Aber die Zuversicht hat mich wieder, daß ich Grosses leisten kann.
Viele Grüße,
Dein Peter
1
S. U. hielt in der Chronik 1977 unter dem Datum des 11. September fest: »Peter Handke ruft mich an. Er ist nach Frankfurt gekommen, um die Angelegenheit seines Hauses in Kronberg zu richten. Obschon tief in der Arbeit, richte ich mich auf ein abendliches Zusammensein ein. Und nachmittags beginne
325 ich, in seinem Buch ›Das Gewicht der Welt. Ein Journal. November 1975 bis März 1977‹ zu lesen. Es ist ein Buch mit vielen Schwächen, aber doch mit vielen faszinierenden Aufzeichnungen. Wie wäre der Lektoratsgang bei uns verlaufen? Hätte ich ihn überzeugen können, zu ändern, wegzulassen? War dies vielleicht auch mit ein Grund, weswegen er es an Residenz gab? Es ist ein rückhaltloses Bekenntnis Strindbergscher Art oder vielleicht wie die ›Sudelhefte‹ von Strindberg. Hier Beispiele: »Warum gewinne ich manchmal meine Ruhe, mein Selbstbewußtsein nur daraus, daß ich andere angreife, daß ich in sie dringe mit Worten, die sie ausziehen, zurechtweisen, zerstören? – ›Die Angst muß aufhören!‹ – ›Dann sag doch gleich, daß die Welt aufhören muß.‹
›Die Lieblosigkeit fängt an: man fragt jemanden, was er so macht.‹
Wichtig, was er über den ›Augenblick‹ schreibt (S. 191).
Auf Seite 173 taucht dann ein Herr S. auf: ›S. sagte, von einer Frau erzählend, mit der er geschäftlich zu tun hatte:‹Ich muß natürlich vorsichtig sein, weil sie mich liebt.›‹ Das Sensorium dieses Mannes. Kennte ich ihn nicht zu gut, so müßte einen solche Sensibilität lähmen. Wir hatten ein sehr angenehmes Gespräch, das alle Themen berührte.«
2
Die linkshändige Frau : Regie und Drehbuch: Peter Handke; Regieassistenz: F. C. Maye, Peter Stephan Jungk; Kamera: Robby Müller, Schnitt: Peter Przygodda. Produzenten: Wim Wenders Production, Road Movies, WDR , ORF und Filmverlag der Autoren. Es spielten: Edith Clever (Marianne), Bruno Ganz (der Ehemann), Markus Mühleisen, Michael Lonsdale, Angela Winkler, Inès de Longchamps, Philippe Caizergues, Gérard Depardieu, Nicolas Novikoff, Jany Holt, Bernhard Minetti, Rüdiger Vogler, Bernhard Wicki, Hanns Zischler. Länge: 116 Minuten.
Unter dem Datum des 3. November 1977 vermerkt die Chronik von S. U.: »3. November: Private Filmvorführung des Handke-Films ›Die linkshändige Frau‹. Stehende, ruhige, schöne Bilder, überhaupt Ruhe und ästhetische Schönheit dominieren und lassen die zweistündige Filmzeit vergessen. Hervorragende Besetzung: Bruno Ganz, Edith Clever, Bernhard Minetti. Aber warum bleibt das Ganze letztlich unbefriedigend? Handke hielt
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