Der Briefwechsel
nicht recht schlau daraus geworden bin. Nur einmal, gegen Schluß, ist mir klargeworden, wie Sie es meinen. Sie sagten, ich wollte in Princeton mich selber anklagen. Sie sagten, ich befand mich konstant auf der Flucht vor Journalisten. Sie sagten, ich lehnte jedes Interview standhaft ab.
An dieser Stelle habe ich Ironie sofort kapiert: Aha, dacht ich, da gibt er mir's aber! […] Sie machen es mir zum Vorwurf, daß ich mich habe fragen lassen. Warum hätte ich die Attitüde des Davonlaufens annehmen sollen? Warum hätte ich mich verstecken sollen? Sie werden doch nicht behaupten, ich hätte ein Interview gewollt?
Der Großteil Ihres Briefes an mich richtet sich wohl gegen Robert Neumann, dessen Artikel ich kenne, und für einen ganz großen Mist halte [Robert Neumann, Spezis. Gruppe 47 in Berlin , in: konkret 5/1966, S. 34-40]. Aber warum das Pathos, Herr Grass? Warum richten Sie den Brief an mich? Sie wissen, als einer der wenigen, die (sonst) differenzieren, daß ich mich in Princeton nicht gegen die ›Beschreibung‹ gerichtet habe, sondern dagegen, daß man sich das Beschreiben zu leicht macht, daß sprachlich der Drive fehlt usw. Sie wissen es, aber Sie schließen sich denen an, die sagen, ich hätte mich selber bezichtigt. Sie tun auch so, als hätte ich mich überhaupt aus Reklamegründen zu Wort gemeldet und wissen doch, daß es eine Augenblickhandlung war, die dann, aus Mangel an Differenzierung der Kritiker, der Beurteilung meiner Arbeiten nur geschadet hat. Daß das so kommen würde, ist mir nach den ersten Reaktionen gleich aufgefallen. Die unzähligen Nachhinker der Literatur, die auf Bedeutung, Tiefe und Werten bestehen, hatten ihren ›Aufhänger‹: sie glaubten, sie könnten überhaupt der ›Beschreibung‹ heimleuchten, die doch immerhin gegen die Bedeutungskrämerei der alten Literatur eine Erholung ist.
Lieber Herr Grass, Sie bitten mich um bessere Feinde der Gruppe 47.
45 Mich? Sie wissen, daß ich kein Feind der Gruppe bin, nie sein kann, weil ich zu wenig von ihr weiß. Ich finde nur die meisten Kritiker in ihr (Marcel Reich-Ranicki, Joachim Kaiser, Walter Jens, Hans Mayer) indiskutabel. Warum schreiben Sie jedoch, ernsthaft, einen offenen Brief an mich? Ich würde mich vielmehr freuen, könnten Sie mir einmal privat einen schicken. Ich wohne hier in Düsseldorf, Wattenscheider Straße 2/708. Herzlich Ihr P. H.«
[25]
[Düsseldorf-Unterrath]
24. Oktober 1966 1
Lieber Herr Doktor Unseld,
sollte noch immer der Plan bestehen, »Die Hornissen« zu übersetzen, ist es dann möglich, daß ich das Übersetzungsexemplar, sehr wenig, korrigiere? Das dürfte wohl möglich sein. Vielen Dank im voraus für Ihre Antwort.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Peter Handke
1
Der Brief trägt den handschriftlichen Vermerk von S. U.: »Feltrinelli«.
[26; Anschrift: ]
Frankfurt am Main
25. Oktober 1966
Lieber Herr Handke,
meinen herzlichen Glückwunsch zur großen Rezension in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« und auch zu der daraus [zu] schließenden schönen und erfolgreichen Aufführung in Oberhausen. Diese Rezension wird viel bewir
46 ken, davon bin ich überzeugt, Sie werden aus den dritten in die ersten Programme kommen.
Über Ihre Bemerkung Ihres Verwandtschaftsgrades Brecht gegenüber habe ich sehr lachen müssen. 1 Bitte schicken Sie mir Ihre Entgegnung auf Grass.
Werden Sie bloß nicht zu übermütig, seien Sie fleißig, arbeiten Sie, schreiben Sie.
Ihr
[Siegfried Unseld]
1
P. H., Weissagung und Selbstbezichtigung hatten Uraufführung am 22. Oktober 1966 an den Städtischen Bühnen Oberhausen in der Regie von Günther Büch. Die vier Sprecher der Weissagung : Hans Joachim Paulmann, Wolfram Weniger, Klaus Rott, Ulrich Hoffmann; die beiden Akteure der Selbstbezichtigung : Hans Joachim Paulmann und Renate Heymann. Albert Schulze Vellinghausen, Salut dem Nachwuchs! in: Frankfurter Allgemeine Zeitung , 25. Oktober 1966. Dort heißt es: »Wie ein Herbstwind, der das Laub welker Theatralik hinwegkehrt, fegten die zwei kleinen Stücke Peter Handkes über die Bretter der Kammerspiele in der Stadthalle von Oberhausen. Enormer einhelliger Erfolg! Dabei ist dieser wunderbar begabte, vielleicht geniale Beatle aus dem Lande Kärnten (geboren 1942 in Griffen bei Graz) nicht einmal vom Himmel gefallen. Er nimmt die Sprache beim Wort. Da liegt sein Eigensinn, das ist seine Stärke. […] Anschließend gab es im Foyer eine vortreffliche Beat-Band. Ein neues Publikum
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