Der Briefwechsel
Wahrscheinlich handelt es sich um die Presseerklärung des Suhrkamp Verlags vom 16. Oktober 1986: »Der Suhrkamp Verlag, Frankfurt, hat im Juni dieses Jahres bekanntgegeben, daß Rudolf Rach am 31. Oktober die Leitung des Suhrkamp Theaterverlages abgibt, um in Frankreich als Verleger des Verlages L'Arche, Paris, zu arbeiten. […] Am 1. November wird Rainer Weiss die Leitung des Theaterverlages übernehmen. Rainer Weiss, Jahrgang 1949, Schüler von Ernesto Grassi, promovierte zum Dr. phil., arbeitete 1 Jahr als Werbeleiter und danach 5 Jahre als Lektor im Piper Verlag, München. Seit April 1985 betreut er das deutschsprachige Lektorat des Suhrkamp Verlages. Mit der Übernahme der Leitung des Theaterverlages durch Rainer Weiss wird der Suhrkamp Verlag neue Initiativen von Autoren gegenüber deutschen und ausländischen Theatern entwickeln.«
[422; handschriftlich]
[Salzburg]
4. November 1986
Lieber Siegfried,
ich habe, ohne Einfluß von außen, beschlossen, die 50 (im Druck vielleicht 70) Seiten der Geschichte vom »Nachmittag eines Schriftstellers«, unter Beibehaltung des Copyrights für mich, dem Residenz Verlag zu überlassen. Zwei
525 Gründe haben mich bestimmt: einmal mein Versprechen an diesen Verlag, da wieder, nach 5 Jahren, etwas zu publizieren, und aus meinem Versprechen kann ich, beim besten Willen, nicht heraus; und dann, für mich das Entscheidende, mein Bedürfnis, hier im Land, in Österreich, etwas herauszubringen, entstanden in den letzten Monaten durch das Gefühl von historischer Unwirklichkeit hier. Es wird sicher objektiv nichts besser werden, wenn ein P. H. in einem österreichischen Verlag erscheint, noch dazu mit einem bloßen, vielleicht eher privaten Büchlein – aber für mich selber ist es geradezu notwendig, daß das geschieht in meinem Land, wo ein Waldheim als Präsidentenschemen und ein Jörg Haider als Stumpfkopfparteivorsitzender das Bild bestimmen und verzerren. Ein paar Leuten wenigstens, das glaube ich zu wissen, wird es guttun und es wird ihnen weiterhelfen, wenn ein von einem Österreicher verfaßtes Werkchen einmal rein einen (anderen) österreichischen Weg versucht. Ja, ich will mir selber so eine Art Wohnstatt hier zu verschaffen suchen; ich brauche das; denn ich komme mir, gerade in meiner sogenannten Heimat, oft, bei all dem Geschrei und den bloßen Meinungen , auch in den Büchern (s. Th. Bernhard), statt Darstellungen und Überlieferungen, als gar nicht vorhanden vor. So ist es, und das ist eigentlich mein Beweggrund (der mit dem Versprechen eben zusammenwirkt). Ich war zu lang im Erklären, aber Du wirst mich trotzdem verstehen. Und die Rechte bleiben, abgesehen von der Erstausgabe, wie gesagt bei mir (denn der Staat Ö., Eigentümer des RV , soll nicht auch mein Eigentümer sein; er, der doch nichts tut für mich, nur nimmt ). 1
Es ist ein nebliger Tag, mit einem Sonnengefühl auf den letzten Baumblättern. Ich sitze am Schreibtisch und werde mich wohl bald wieder täglich an ihn setzen, nicht zum Briefeschreiben, sondern zum Nachgehen und In-Gang-
526 Bringen und Anstimmen der Bilder. Ich lese gerade Eliade und versuche gerade ein indisches Wort auswendig zu lernen: phalatrisnavairâgya , was so etwa heißen soll: nicht asketisch werden, sondern aktiv in der Welt bleiben, »aber ohne die Früchte der Aktionen zu geniessen« – das, glaube ich zu wissen, gehört ja auch zu Deiner Art, in der Welt zu sein. Vielleicht magst Du mich wieder einmal anrufen.
Herzlich
Dein Peter
1
P. H., Nachmittag eines Schriftstellers , erschien 1987 im Residenz Verlag, Salzburg, Wien, 1989 als Band 1668 der suhrkamp taschenbücher .
[423; handschriftlich; Adresse: ]
Frankfurt am Main
30. Dezember [1986]
Lieber Peter,
das Jahr geht zuende, ein neues beginnt.
Du ahnst meine Bedrückungen: ich verstehe nach Deinem Brief, für den ich danke, Deine Residenzentscheidung, mich muß sie bedrücken.
Im Hause Fischer schwelte der Dauerstreit zwischen Thomas Mann und Döblin. S. Fischer konnte ihn nicht schlichten, und Freundschaften zerbrachen. Thomas Bernhard hat es schwer genug, mit sich, mit der Umwelt. Ich möchte nicht, daß Freundschaften brechen. 1
So, ich habe meine Bedrückungen los.
Dir ein gutes Gelingen, beim Schreiben, beim Leben.
Dein
Siegfried
1
527 Sigrid Löffler zitierte in dem Artikel Der Mönch auf dem Berg (in: profil , 17. November 1986) Äußerungen von P. H. über Thomas Bernhard: »Was der Thomas Bernhard macht, in Ehren, aber für
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