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Der Bronzehändler

Der Bronzehändler

Titel: Der Bronzehändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Blick, dann verdrehten sich die Augen; sie starrte ins Leere.
    Karidon spürte seinen Herzschlag bis in die Fingerspitzen. Er bewegte die Knie zur Seite und streckte Tama-Hathor-Merits Körper auf den Decken aus, drückte ihre Lider hinunter und zog das durchschwitzte Leinen über ihr Gesicht.
    Nefer-Ihat wimmerte und schluchzte. Sie schob, ohne hinzusehen, einen Becher über die Steinplatte: ein unerträgliches Geräusch, das Karidon zusammenzucken ließ. Während er aufstand, sagte er dumpf: »Sie ist tot, Nefer.«
    »Nofret, Chakauras Mutter, wird bald tot sein. Mudnedjemet und das göttliche Kind sind tot.« Nefer rieb ihre Augen. »Ikhernofret ist krank. Viele Gaufürsten sind gestorben. Dein Freund Parennefer ist Kapitän der Sonnenbarke nach Amentet.« Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Das sind die bronzenen Jahre des Goldhorus.«
    Karidon starrte in die Lotosblüten, hob den Kopf und sah Tamahat an. Sie lag da wie eine Statue.
    »Immer und überall wird gestorben, Frau. Wer zurückbleibt, leidet. Sie ist jenseits aller Schmerzen.« Er kauerte sich neben dem Leichnam ins Gras und berührte zögernd Tamahats Stirn, die Arme und Brüste, ließ seine Hände auf ihren knochigen Knien liegen, die sich unter dem Leinen abzeichneten, dann sah er aus dem Augenwinkel die Bewegung der Vorhänge. Er streckte die Hand aus und schloss die Finger um den warmen Goldbecher.
    »Woher hast du die Wunden auf deinen Schultern, Schwester?«
    »Von ...« Sie sah sich um und sah Chakaura, der langsam aus dem Halbdunkel des Raumes auf die Terrasse herauskam; mit ruckhaften Bewegungen, als schlafwandle er. An seiner Seite ging Hathor-Iunit. Nefers Lippen formten, nur für Karidon sichtbar, unhörbar die Worte: »Von seiner Königin.« Sie sprang auf und rannte, Chakaura und der Prinzessin weit ausweichend, in den Schlaf räum.
    Karidon stemmte sich in die Höhe, kreuzte die Arme und legte die Hände auf die Schultern.
    »Deine Schwester, Chakaura, ist tot«, sagte er. »Ich glaube, dass du sie geliebt hast wie ich; auf andere Art. Meine große Liebe ist in meinen Armen gestorben. Die Götter werden weinen, wenn es sie denn gibt. Ich weiß, dass der Goldhorus für ein würdiges Sehedhu-Grabmal gesorgt hat.«
    »Es ist gebaut, und alles, was sein soll, wird geschehen, wie seit den Jahren Narmers oder meines Vaters, Karidon. Für unsere Tamahat, für meine Mutter, auch für Ikhernofret.«
    Karidon beobachtete herumwuselnde Cheperkäfer vor seinen Zehen. Schmerz wühlte und schürfte in seinem Inneren; er starrte Chakaura und die Umgebung an, als sähe er alles zum ersten Mal. Chakaura ging zu den Palmen hinüber, Karidon folgte ihm. Hathor-Iunit setzte sich auf die Teichumrandung.
    »Ich, auch Netji und die anderen, Horus aller Horizonte, deine Freunde, wir müssen erkennen, dass du deine Sohlen vom Boden der Welt und von der Bedeutung der Dinge und Menschen gelöst hast. Niemand hört zu. Ich sage, was ich denke: du bist weder der nackte Junge im Binsenboot noch der Ertrinkende im Kanal noch Gott Ptah – was bist du? Warum trägt Nefer-Ihat die Spuren der Peitsche? Deinetwegen flattern entlang der Ufer fröhliche Bänder von den Zedernholzmasten. Warum?« Karidon sah in Chakauras reglosem Gesicht keinen Zorn; nur die Wangenmuskeln arbeiteten. Er sprach weiter, leiser und drängend. »Erinnerst du dich noch an die Zeit, als du ein Rômet warst, ein ›Mensch‹? Vergiss nicht – oder hast du's vergessen –, dass der Goldhorus wie jeder Mensch essen, ficken, pissen und scheißen muss?«
    Chakaura, ohne Kopftuch, mit kurz geschorenem grauem Haar, schweren Lidern und trägen Bewegungen, machte einige Schritte und setzte sich neben dem Kopf einer Statue auf den Sockel. Mit misstönendem Trompeten überflog ein Zug Kraniche das Geviert der Mauern. Chakaura zog die Brauen hoch; sein Blick ging an Karidon vorbei zur Mauerkrone.
    »Ich hab nichts vergessen. Ich, der Goldhorus, stehe vor dem Angesicht der Götter. Niemandem habe ich Rechenschaft abzulegen ...«
    »Doch. Den Freunden, den Menschen. Unterhalb des göttlichen Horizontes: Zumindest in Gedanken. Die Freunde werden weniger von Jahr zu Jahr, Herr des Per-Ao.«
    Chakaura stützte den Ellbogen aufs Knie und umfasste das Kinn mit den Fingern. Sein Blick bohrte sich in Karidons Augen. Er zuckte mit den Schultern und blickte in die treibenden Wolkengebirge.
    »Du hast recht. Ich habe recht. Die Priester haben recht. Ich muss und will glauben, dass ich göttlich bin. Das sagen sie

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