Der Bronzehändler
mehrstimmigen Rohrflöte riss nicht ab. Der Hirte schien eine bronzene Lunge zu haben und Lippen aus Leder.
Wieder gähnte Karidon. Tränen der Müdigkeit traten in seine Augenwinkel. Sollte er Jehoumilq beneiden um dessen Fähigkeit, jederzeit und an jedem Ort stark wie ein Apisstier und unverwüstlich wie Granit zu wirken? Er kaute lustlos gebratenes Ziegenfleisch, harten Schafskäse und öliges Brot und sah um den Hals Korimas in drei Windungen die dünne goldene Kette, die Netji vor zwei Monden in Men-nefer eingetauscht hatte. Mlaisso schaufelte Gemüse und Fisch in sich hinein, leerte den Becher und rülpste. Als Korima aus dem großen Schnabelkrug seinen Becher gefüllt hatte, rückte Karidon zur Seite und sagte zu Ptah:
»Von mir aus könnt ihr bis zum Morgengrauen feiern. Ich bin todmüde. Nicht böse sein – am Fuß dieses Bechers fang ich zu schnarchen an, und zwar auf meinem Lager.«
Ein prüfender Blick aus Ptahs hellbraunen Augen traf ihn.
»Bist du krank?«
Karidon schüttelte den Kopf. »Nein. Nur müde. Lasst mich ausschlafen; morgen bin ich wieder in Ordnung. Dieses Leiern von drüben überflutet meine Ohren. Ich nehm den Becher mit.«
Er schlug mit dem Handrücken gegen Ptahs Oberarm, nickte Mlaisso zu und schob sich zwischen den Zechenden hindurch. Ptah sah ihm nach und zuckte mit den Schultern; niemand sonst beachtete ihn. Er ging durch die schmale Maueröffnung und unter den Kronen des Ahornbaumes zum Anbau. In einigen Nischen brannten Öllampen. Lautlose Flächenblitze hinter den Bergen zeigten für Augenblicke gezackte Gipfel und mächtige Wolken. Karidon hob das Lämpchen, entzündete den Docht an der nächsten Lampe, streifte die Sandalen ab und setzte sich, den Rücken an der gekalkten Wand, aufs Lager. Er trank; ein Tropfen Wein fiel auf das Laken: blitzartig zuckte die Erinnerung an den Kampf in Men-nefers nachtschwarzer Gasse auf und ans Blut, das von seiner Kampfaxt getropft war. Er blinzelte ins Flämmchen, öffnete die Gürtelschnalle und faltete den Schurz zusammen.
Er wünschte sich jene unbekümmerte Leichtigkeit, mit der sein Freund in jedem Hafen eine Frau fand, die mit ihm schlief. Erinnerungen an Nefer-Tefnachts weiche Haut, ihre Lippen und Brüste überfielen ihn blitzartig und vergingen rasch – er nahm einen tiefen Schluck und merkte, wie Erschöpfung und Muskelschmerzen ihn umklammerten, warm und feucht wie ein Laken. Er drückte den Docht ins summende Öl, zog den Vorhang zu und schob den Holzriegel der Tür vor. Im Dunklen leerte er den Becher halb und streckte sich unter der Decke aus, die nach Rosmarin und Ginster roch. Bevor er die ersten klaren Gedanken festhalten konnte, schlief er ein.
Licht, das durch seine Lider dringt, und schnell aufeinanderfolgende peitschende, schmetternde Schläge reißen ihn aus einem wüsten Traum. Die Blitze eines furchtbaren Gewitters, das sich über der Bucht entlädt, scheinen jeden winzigen Bestandteil des Traumes in sein Bewusstsein einzubrennen: Während er aufspringt, Laken und Decke von sich schleudert, die krachende Tür und den wehenden Vorhang packt, zuckt er geblendet durch den Blitz zusammen, der hinter der Mauer ins Wasser der Bucht schlägt. Der Donnerschlag lässt ihn zurücktaumeln. Er prallt mit der Schulter gegen die Wand, der triefende Vorhang klatscht in sein Gesicht. Er klemmt den Stoff zwischen Tür und Holzrahmen ein, rammt den Riegel ins Wandloch und lehnt sich keuchend gegen die Wand. Erst jetzt merkt er, dass sein Körper schweißnass ist.
Er tappt zum Lager; in seinen Ohren sirrt es. Nun friert er und zieht die Decke bis unters Kinn. Ein Fieberanfall schüttelt ihn, und er presst die Hände zwischen die Oberschenkel, zieht die Knie bis an die Brust und merkt, dass er vor Kälte zittert. Das durchgeschwitzte Laken wärmt ihn nicht. Im Wechsel von Blitzschlägen und langanhaltendem Donner, dessen Echos von den Bergen schmettern, zuckt Karidon, schwitzt und friert zwischen Schlafen und Wachen, zwischen Fieber und alptraumhafter Wirklichkeit. Die Bilder seines Traums zeigen sich in greller Deutlichkeit, wie von Blitzen ausgeleuchtet, und vor seinem inneren Auge erzählt sich seine Geschichte von der Gegenwart schrittweise zurück in die Vergangenheit.
Alles ist in blaues Licht getaucht; ein Zeichen der Erleichterung, nachdem der Sturm überstanden ist und sein schales Schuldgefühl, als er erkennen muss, dass nach Rebidekas Tod die vernichtende Wut des Messes gebrochen ist, obwohl kein Meeresgott dieses
Weitere Kostenlose Bücher