Der Buchdrucker der Medici - Eine Hommage an Michael Wagner
Zischeln und Sausen der Sprenggeschosse fährt Wagner in die Glieder. Er hält sich die Ohren zu, geht in die Hocke, spürt ein Zittern in den Oberschenkeln. Der Einschlag der Bomben lässt den Keller erbeben, Kalk rieselt von den Wänden, als sackte der Raum plötzlich ab, die Zargen knacken. Ängstliche Blicke zur Decke, wird sie halten?
Ehe die nächste Welle geflogen wird, verteilt Frau Schönwitz Schnaps. Vor dem ekelt Angelika, dennoch greift sie zum Glas.
Wenigen Menschen begegnet Wagner, sie huschen an ihm vorbei. Sogar das Rauchen ist untersagt, jedes Hantieren mit offenem Feuer. Finster ist es, fast so wie in jenen Tagen, als er das erste Mal die Stadt betreten hatte. In der Altstadt gab es damals kaum Licht, jetzt hat man es bei Anbruch der Nacht zu löschen. Dennoch kann Wagner deutlich die Umrisse einer Ruine erkennen, die Stadtapotheke. Das Haus ist noch in Besitz der Familie Winkler.
Weiter zur ehemaligen Offizin. Scheu blickt Wagner hinauf zum – „Innsbruck, die schöne Stadt der Erker“, entblödet sich ein Kunsthistoriker nicht, noch im Frühjahr 1945 im Gaublatt zu schreiben. Wagner kennt den Namen des Autors aus dem Gauverlag. Kein Fenster im Haus ist mehr heil, die nahe Pfarrkirche ein Gerippe. Und was ist das? Soll das Ziegelwerk dem Bombenhagel Einhalt gebieten? Das Wahrzeichen der Stadt hat man eingemauert. In den Laubengängen steht der Schutt mannshoch. Vorbei an Häusern, wie geöffnete Körper kommen sie Wagner vor, ihr Inneres freigelegt, Stuben, Bäder, Küchen. Das Gebäude gegenüber dem Goldenen Löwen, nicht anzuschauen.
Plötzlich heulen Sirenen, einmal, zweimal, wieder und wieder. Panik bricht aus. Wagner hört Kinder schreien, sieht Menschen aus ihren Wohnungen stürzen, Alte humpeln durch die Gassen.
Anhaltend das blecherne Getöse der Sirenen. Wagner ist gerade vor seiner Buchhandlung angelangt, als der Nachthimmel wie ein Stofffetzen zerreißt. Taghell wird es, schon bebt der Boden unter seinen Füßen. Wie Särge fallen die Bomben aus dem grell erleuchteten Himmel. Scheiben bersten, heißer Wind peitscht ihm ins Gesicht. Flugblätter wirbeln über das Trottoir, Wagner bückt sich, liest: „Die Armeen der Vereinten Nationen kämpfen tief in Österreich“. Dann schnellt er hoch. In unmittelbarer Nähe eine Explosion, lauter als jeder Blitzeinschlag, den er je vernommen hat. Über der Erlerstraße schießen Feuersäulen empor.
Die Produktionsstätte der Zeitung wurde bereits drei Wochen vor dem Nachtangriff zerstört. Den Druckern sitzt der Schrecken darüber in den Knochen. Wagner sieht, auch Schönwitz ringt um Contenance. Nun muss er auf die Anlagen des ehemaligen Konkurrenten ausweichen. Des Führers Geburtstag ohne Gruß aus Tirol, unvorstellbar. Zehn Tage nach der Bombennacht prangt von der Titelseite der
Innsbrucker Nachrichten
: „Der Mann dieses Jahrhunderts“, ein Lobgesang des Propagandaministers auf den Jubilar.
Glaubt Schönwitz noch an den Unsinn, für dessen Druck er verantwortlich ist? Unter der Goebbels-Rede vom 20. April 1945 Auszüge aus dem Nibelungenlied.
Schönwitz weiß, was es geschlagen hat. Während Etzel, Hagen und Kriemhild im Gaublatt antreten, setzen die Alliierten zum großflächigen Beschuss der Bahnstrecken im Inntal an. Hilfe aus der Reichhauptstadt ist keine mehr zu erwarten. Dönitz, Himmler, Göring und Speer haben Berlin bereits verlassen, aus Angst vor der anrückenden Roten Armee. Goebbels und Bormann verschanzen sich mit Hitler im „Führerbunker“. Was macht Max Amann, der alte Haudegen? Viel hat er ihm zu verdanken, dem Präsidenten der Reichspressekammer und Leiter des Eher-Verlags. Gute Zeiten waren das! An Amanns Seite hatte er tatkräftig an der Gleichschaltung der Presse mitgearbeitet. Und war es nicht der Max gewesen, der Hitler davon überzeugt hatte, dass
Viereinhalb Jahre Kampf gegen Lüge, Dummheit und Feigheit
kein verkaufsfördernder Titel sei. Der Führer solle das Werk doch schlicht –
Rasch in die Buchhandlung. Unübersehbar,
Mein Kampf
, als zweibändige Geschenkausgabe im Schuber erhältlich. Auch als Tornisterausgabe auf Dünndruckpapier. Sogar eine Jubiläumsausgabe anlässlich der Vollendung des 50. Lebensjahres des Führers ist noch vorrätig, im Ganzlederband mit Goldpressung.
Gähnende Leere im Verkaufsraum. Dabei steht die Dichtung momentan hoch im Kurs. Im Gaublatt hat Wagner gelesen: „Wie schwer ist es, daß der Mensch recht abwäge, was man aufopfern muß, gegen das, was zu gewinnen
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