Der Buddha aus der Vorstadt
begutachtete, sich den Bauch tätschelte, seine Speckringe drückte und mit Eva darüber redete, als seien sie das neunte Weltwunder; oder er versuchte, Eva zu überreden, in die Wülste hineinzubeißen.
»Bei uns Indern liegt der Schwerpunkt tiefer als beim abendländischen Menschen«, behauptete er. »Wir halten eine bessere Balance. Wir leben aus dem Zentrum heraus - aus dem Magen. Wir leben mit dem Bauch, nicht mit dem Kopf.«
Eva ertrug dies alles; es brachte sie zum Lachen. Aber Dad war auch nicht mein Geliebter. Außerdem sah ich in ihm seit einiger Zeit nicht mehr meinen Vater, sondern eine von mir unabhängige Person mit eher zufälligen Eigenheiten. Er war Teil der Welt, nicht mehr deren Ursprung, und so sehr ich es auch bedauerte, war er in gewisser Weise doch nur ein anderer Mensch. Und seit Eva begonnen hatte, so hart zu arbeiten, staunte ich über Dads Hilflosigkeit. Er konnte sein Bett nicht machen, wußte nicht, wie man Wäsche wusch oder Kleider bügelte. Er konnte nicht kochen; er wußte nicht einmal, wie man Tee oder Kaffee macht. Vor einigen Tagen bat ich Dad zum Beispiel - ich hatte mich gerade hingelegt, um meinen Text zu lernen -, mir einen Tee und etwas Toast zu machen. Als ich ihm aber schließlich doch in die Küche folgte, sah ich, daß er den Teebeutel mit der Schere aufgeschnitten und den Tee in die Tasse geschüttet hatte. Mit den Fingerspitzen hielt er ein Stück Brot hoch, als sei es ein seltener Fund einer archäologischen Ausgrabungsstätte. Sein Leben lang war er von Frauen umsorgt worden, und er hatte sie ausgebeutet. Ich verachtete ihn. Allmählich war ich davon überzeugt, daß die Bewunderung, die ich als Kind für ihn gehegt hatte, eigentlich grundlos war. Was konnte er schon? Welche Qualitäten hatte er denn? Warum hatte er Mum so schlecht behandelt? Ich wollte nicht mehr so sein wie er. Ich war wütend auf ihn. Er hatte mich irgendwie im Stich gelassen.
»Komm her, Trauerkloß«, sagte er jetzt zu mir. »Wie läuft’s mit dem Stück?«
»Gut.«
Und schon legte er los: »Mag sein, aber paß auf, daß sie dir geben, was dir zusteht. Hör zu! Sag ihnen, du würdest nur die Hauptrolle spielen, sonst nichts. Man kann nicht hinter das Erreichte zurück - immerhin bist du bereits zum führenden Mowgli-Darsteller in der ganzen Theaterwelt aufgestiegen! Schließlich bist du auch die Frucht meines erstklassigen Samens, oder etwa nicht?«
Ich äffte ihn nach. »Erstklassiger Same, erstklassiger Same.« Dann sagte ich: »Warum hörst du nicht endlich auf, so einen Scheiß zu reden, alter Wichser«, und ging.
Ich ging ins Nashville, in dem es zu dieser Tageszeit ziemlich ruhig war. Ich genehmigte mir ein paar Pint Ruddles und eine Tüte Chips mit Hühnchengeschmack, saß da und fragte mich, warum Kneipen so düster aussehen müssen, vollgestopft mit dunklem Holz und schweren, ungemütlichen Möbeln und von einem so lausigen Licht erleuchtet, daß man in dieser verpesteten Luft kaum fünf Schritte weit sehen konnte. Ich dachte an Eleanor und hätte aus lauter Mitleid mit ihr am liebsten losgeheult. Aber mir war auch klar, daß dieses Gefühl vorübergehen würde, wenn ich es lange genug in der Kneipe aushielt. Selbst wenn er sich auf schreckliche Art und Weise umgebracht hatte, wollte Eleanor offenbar nicht über ihren letzten Freund reden. Jedenfalls hatte sie ihn mir gegenüber nie direkt erwähnt. Sie hatte mir einen wichtigen Teil ihres Lebens einfach vorenthalten. Ich fragte mich langsam, wie wichtig ich ihr eigentlich war.
Überhaupt passierten mir in meinem Leben schon ein paar verrückte Dinge, die mich ganz schön ins Wanken brachten. Zum Beispiel diese Einladung zum Essen. Ich betrachtete das Stück Papier, auf das Pyke seine Adresse geschrieben hatte. Allein das Wort »Abendessen« verwirrte und ärgerte mich. Diese Londoner nannten alles beim falschen Namen. Mittagessen war für sie Lunch, der Nachmittagstee Abendessen, Frühstück nannten sie Brunch, und Pudding hieß bei ihnen Dessert.
Ich mußte mit meinen Freunden darüber reden. Das würde mir helfen, einige Dinge klarer zu sehen. Doch als ich Eva besorgt von Pykes Einladung erzählte (ohne allerdings sein »Geschenk« zu erwähnen), konnte sie meine Angst und Verwirrung nicht begreifen. Sie hielt es für eine fantastische Chance. Sie wußte genau, wie bedeutend Pyke war, und sie sah mich bewundernd an, als hätte ich gerade im Schwimmwettkampf einen Pokal gewonnen. »Du mußt Matthew irgendwann in den nächsten
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