Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
Vom Netzwerk:
ebendieser intimen Atmosphäre seines Wagens hatte Pyke damals so lange und detailliert über Sex sinniert, daß ich mittlerweile davon überzeugt war, das Erzählen dieser Geschichten sei ein integraler erotischer Bestandteil jedes ernsthaft promiskuitiven Lebens. Mag sein, vielleicht hatte Eleanor mich übersexualisiert. Vielleicht signalisierten meine Haut oder meine Augen ein Wissen um die fleischlichen Dinge, das anderen Menschen sinnliche Gedanken entlockte.
    Die ersten Worte, die Pyke zu mir sagte, eine Art Einleitung zum Verständnis seines Charakters, lauteten: »Als ich neunzehn Jahre alt war, Karim, schwor ich mir, mein Leben zwei Zielen zu widmen: Ich würde ein hervorragender Intendant werden, und ich würde mit so vielen Frauen schlafen wie nur möglich.«
    Es überraschte mich, daß er naiv genug war, mit solchen Sehnsüchten anzugeben. Während er fuhr, sah er starr geradeaus und erzählte von seinen Hobbys: von Orgien, New Yorker Bums-Klubs, von der Lust, einen ungewöhnlichen Ort für den alltäglichen Akt zu finden oder es mit ungewöhnlichen Menschen zu treiben.
    Für Marlene und Matthew, die von den sechziger Jahren geprägt worden waren und in den siebziger Jahren das Geld und die Möglichkeiten hatten, ihre Phantasien auszuleben, war Sex zugleich regenerierend und informativ. »Wir treffen dabei so viele interessante Menschen«, sagte Pyke. »Wo würde man sonst einen Friseur aus Wisconsin treffen, wenn nicht in einem New Yorker Bums-Klub?«
    Marlene war nicht anders. Sie vögelte mit einem Labour-Abgeordneten und gab an ihre dialektisch geschulten Freunde Klatsch und Informationen über das Unterhaus und die schmutzigen Intrigen der Labour Party weiter.
    Zu den neuesten Eroberungen Pykes gehörte eine Polizistin, an der ihn weniger der Charakter faszinierte - der auch nicht sonderlich ausgeprägt war sondern die Uniform und vor allem die Verfilzung in der Londoner Stadtverwaltung, von der sie ihm nach der Fellatio in allen Einzelheiten berichtete. Aber Pyke hatte seine, wie er es nannte, »Gesetzeshüter-Phase« langsam satt. »Ich stehe momentan mehr auf Wissenschaftlerinnen - eine Astronomin oder Kernphysikerin zum Beispiel. Von der Kunst fühl ich mich intellektuell zu sehr eingeschränkt.«
    Wie sie ihre Nasen in die verborgenen Winkel des Lebens steckten, erinnerten mich Pyke und Marlene eher an unerschrockene Journalisten als an Menschen, die im Strom des sinnlichen Vergnügens schwammen. Ihr Verlangen, sich dem wahren Leben an den Hals zu werfen, verriet eine tiefgehende Trennung von eben diesem Leben. Und diese besessene Suche nach der eigentlichen Welt schien mir nur Egoismus in anderer Gestalt zu sein. Pyke verschwieg ich meine Analyse natürlich: Ich hörte ihm mit heißen Ohren und keuchendem Atem zu. Ich wollte ihm näher sein. Ich war aufgeregt. Die Welt tat sich vor mir auf. Noch nie hatte ich jemanden wie ihn kennengelernt.
    Bei einer dieser Bekenntnissitzungen, als ich nach der Probe erschöpft, aber zufrieden von der harten Arbeit neben ihm im Wagen saß, drehte Pyke sich mit breitem und hinterhältigem Grinsen zu mir um und sagte: »Hey, du solltest wissen, daß ich mit deinem Beitrag zu diesem Stück sehr zufrieden bin. Deine Rolle wird die Leute ganz schön zum Lachen bringen. Ich habe mich deshalb entschlossen, dir ein ganz besonderes Geschenk zu machen.«
    Der Himmel zog mit irrer Geschwindigkeit vorbei. Ich sah mir Pyke an, sein sauberes, weißes T-Shirt, die Trainingshose. Seine Arme waren dünn, sein Gesicht sah böse und verkniffen aus; er joggte ziemlich viel. Er hatte die Soul-Musik, die ich selbst ausgesucht hatte, voll aufgedreht. Smokey Robinsons »Going to a Go-Go« war eines seiner Lieblingsstücke, und wenn ihm etwas gefiel, dann wollte er es immer wieder hören. Und er hatte den Robinson-Song heute zum erstenmal gehört. Ich dachte gerade, daß er gar nicht so cool sei, wie ich immer gedacht hatte, als er etwas so verdammt Cooles abzog, daß mir gleichzeitig eiskalt und glühendheiß wurde.
    Da saß ich, plapperte drauflos, sagte: »Du bist so gut zu mir gewesen, Matthew, schon allein deshalb, weil du mir diesen Job besorgt hast. Vielleicht begreifst du gar nicht, was das für mich bedeutet.«
    »Was meinst du mit >nicht begreifend« fragte er mit schneidender Stimme.
    »Mein ganzes Leben hat sich verändert. Wenn du mich nicht aufgegabelt hättest, würde ich noch immer irgendwo Häuser renovieren.«
    Er grunzte. »Vergiß es. Ich wollte nicht nett sein -

Weitere Kostenlose Bücher