Der Buddha aus der Vorstadt
wollte. Oder er sagte, er wolle seinen Minterwantel tragen, und meinte damit seinen Wintermantel. Seine typische »Englishness« war für ihn etwas, das er verkaufen konnte, und er bekam viel Geld dafür.
Einige Tage danach zog ich bei ihm ein. Tagsüber war Charlie meistens zu Hause, gab Journalisten aus aller Welt Interviews, ließ sich fotografieren, probierte neue Klamotten an und las. Manchmal tummelten sich junge, kalifornische Mädchen in der Wohnung und hörten sich Platten von Nick Lowe, Ian Dury und besonders von Elvis Costello an. Ich redete mit diesen Mädchen nur, wenn ich von ihnen angesprochen wurde, denn ich fand diese Kombination aus Schönheit, Geistlosigkeit und Grausamkeit schlichtweg beängstigend.
Es gab da allerdings auch drei oder vier kluge und seriöse New Yorker Frauen, Verlegerinnen, Filmkritikerinnen, Professorinnen der Columbia oder Sufistinnen, die Unterricht im Derwischtanz gaben; ihnen hörte Charlie erst ein paar Stunden zu, ehe er mit ihnen schlief. Später machte er sich einige rasche Notizen über ihre Unterhaltung, um sie in den nächsten Tagen vor anderen Leuten zum besten zu geben. »Sie bilden mich, Mann«, sagte er über diese Frauen, mit denen er sich über internationale Politik, südamerikanische Literatur, über den Tanz und die Möglichkeiten unterhielt, sich mittels Alkohol in mystische Zustände versetzen zu können. In New York schämte er sich nicht über seine Unwissenheit: Er wollte lernen; er wollte nicht länger lügen und bluffen.
Wenn ich in der Wohnung umherlief und zuhörte, wie er etwas über Le Corbusier erfuhr, merkte ich, daß Ruhm, Erfolg und Reichtum ihm wirklich gut bekamen. Er war längst nicht mehr so unruhig, verbittert und launisch wie früher. Seit er selbst die Erfolgsleiter emporgestiegen war, sah er nicht mehr neidvoll nach oben. Er konnte seinem Ehrgeiz eine Pause gönnen und menschlich werden. Man hatte ihm eine Rolle in einem Film angeboten, danach würde er in einem Theaterstück mitspielen. Er traf bekannte Leute; er reiste, um Erfahrungen zu sammeln. Das Leben war herrlich.
»Ich will dir was sagen, Karim«, meinte er beim Frühstück. Das war die Zeit des Tages, wenn seine jeweilige Freundin noch schlief und wir miteinander reden konnten. »Ich weiß noch, wie ich mich zum erstenmal verliebt habe. Ich wußte sofort, diesmal würde es ernst. Damals wohnte ich in einem Haus in Santa Monica, ich hatte gerade einige Auftritte in LA und San Francisco hinter mich gebracht.« (Für mich waren das lauter magische Namen.) »Zum Haus gehörten fünf Terrassen, die sich einen steilen, saftigen Hügel hinunterzogen. Ich hatte im Swimmingpool gebadet, aus dessen Wasser irgendein Lakai gerade alle Blätter herausgefischt hatte, trocknete mich ab und telefonierte dabei mit Eva in West Kensington. Die Frau eines berühmten Schauspielers, dem das Haus gehörte, kam auf mich zu und gab mir die Schlüssel zu ihrem Motorrad. Eine Harley. Da wußte ich, daß ich Geld liebe. Geld und alles, was für Geld zu haben ist. Ich wünschte mir, nie wieder ohne Geld zu sein, weil es mir ein solches Leben kaufen konnte.«
»Zeit und Geld sind super, Charlie. Aber wenn du nicht aufjpaßt, dann hebst du ab, wirst verwöhnt und habgierig. Geld kann die Nabelschnur zwischen dir und dem normalen Leben durchschneiden. Da sitzt du dann, siehst auf die Welt hinab, denkst, du verstehst sie, und daß du so bist wie all die anderen, und hast doch keine Ahnung, verstehst überhaupt nichts. Denn für die anderen stehen im Mittelpunkt ihres Lebens die Sorgen um das Geld und die Frage, wie sie mit ihrer Arbeit fertig werden sollen.«
»Ich genieße diese Unterhaltungen mit dir«, sagte er. »Sie bringen mich zum Nachdenken. Was für ein Glück, daß ich vom Reichtum noch nicht verdorben bin.«
Charlie war fit. Jeden Morgen um elf Uhr fuhr er mit dem Taxi zum Central Park, um dort eine Stunde lang zu joggen; anschließend trieb er in einem Fitneß-Studio noch eine Stunde Gymnastik. Manchmal aß er tagelang nur so verrückte Sachen wie Hülsenfrüchte, Bohnensprossen und Tofu, und ich mußte meine Hamburger heimlich draußen im Schnee verdrücken, weil er, wie er sagte, »das Tier nicht in seinen vier Wänden haben wollte«. Dienstagabends kam regelmäßig sein Dealer vorbei. Für Charlie gehörte das mit zu dem Lebensstil, auf den er in Santa Monica einen ersten Blick hatte werfen können. Besonders die Art, wie dieser ehemalige NYU-Filmstudent seine Pandorabüchse auf Charlies
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