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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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sie nur zeitweilig angenommen zu haben.
    Ich übergab mich drei- oder viermal, dann trug ich Kaffee und Toast mit Marmelade nach oben zu Charlie. Er lag allein im Bett. Als ich ihn aufweckte, knurrte er mich nicht wütend an, wie er es sonst immer getan hatte, sondern setzte sich auf, lächelte und küßte mich. Er sagte eine Menge Dinge, von denen ich nicht glauben konnte, daß sie aus seinem Mund kamen.
    »Willkommen in New York. Ich weiß, wie beschissen du dich fühlst, aber wir werden hier zusammen auf den Putz hauen, wie du es noch nicht erlebt hast. Mann, das ist eine fantastische Stadt! Man darf überhaupt nicht daran denken, daß wir uns all die Jahre am falschen Ort aufgehalten haben. Kannst du mal gerade die Lightnin’-Hopkins-Scheibe auflegen? Laß uns so anfangen, wie wir weitermachen wollen!«
    Charlie und ich liefen durch das Village und tranken einen dickflüssigen Milchshake mit viel italienischem Eis. Ein Mädchen erkannte Charlie, kam an unseren Tisch und reichte ihm einen Zettel. »Herzlichen Dank dafür, daß du die Welt mit deinem Genie beehrst«, hatte sie geschrieben. Darunter stand ihre Telefonnummer. Charlie nickte ihr zu.
    Ich hatte vergessen, wie einschüchternd es war, mit ihm durch die Straßen zu schlendern. Überall erkannte man ihn, obwohl er sein Haar unter einer schwarzen Wollmütze versteckte und einen blauen Overall und schwere Arbeiterschuhe trug.
    Ich hatte keinen blassen Schimmer gehabt, daß er in Amerika so berühmt war. Man ging um die Ecke, und schon hing da sein Gesicht an einer Brandschutzmauer oder einem angestrahlten Bretterzaun. Charlie hatte mit seiner neuen Band eine Tournee durch Sporthallen und Stadien gemacht. Er zeigte mir die Videos, weigerte sich aber, sie sich mit anzusehen. Ich begriff auch bald, warum. Auf der Bühne trug er schwarze Lederklamotten mit silbernen Schnallen, Ketten und Halsband, aber am Ende der Vorstellung hatte er sich fast völlig ausgezogen und fetzte mit seiner spindeldürren Gestalt, dünn und weiß wie Mick Jagger, mit nacktem Oberkörper über eine Bühne groß wie ein Flugzeughangar. Er gefiel denen, die über ihr Einkommen frei verfügen konnten, und den Schwulen und den Jugendlichen, besonders den Mädchen; sein Album »Kill ForDaDa« war schon seit Monaten in den Charts.
    Seine Show hatte all ihre Bedrohlichkeit verloren. Die wilden und grausamen Elemente in ihr waren bereits Travestie, und die Musik, an sich nichts Besonderes, hatte die Dramatik und Aggressivität verloren, die sie noch besessen hatte, als sie aus dem England der Arbeitslosen, der Streiks und Klassengegensätze herübergekommen war. Mich überraschte nur, daß Charlie das alles bewußt war. »Die Musik ist ziemlich schwach, okay. Ich bin kein Bowie, glaub bloß nicht, daß ich das nicht selbst weiß. Aber ich hab Ideen zwischen meinen Ohren. Ich kann noch verdammt gute Sachen machen, Karim. Dieses Land gibt dir einen unglaublichen Optimismus. Die Leute hier glauben an dich, sie glauben, daß du was erreichen kannst. Sie machen dich nicht ständig runter, so wie in England.«
    Also hatte er sich diese dreistöckige Wohnung in einem Reihenhaus in der East Tenth Street gemietet, schrieb an den Songs für seine nächste Platte und lernte Saxophon. Am Morgen, als ich mich ein bißchen in der Gegend umsah, entdeckte ich, daß unter dem Dach des gleichen Hauses eine Wohnung leerstand. Ich ging noch einmal zu Charlie zurück, warf mir meinen Mantel über, weil ich gleich ins Theater gehen wollte, und stand traurig vor ihm. Es tat mir leid, mich von ihm zu trennen - er wirkte so verdammt anständig und schien wirklich froh, mich wiederzusehen. Ich sagte: »Charlie, ich wohne mit dem ganzen Ensemble in der großen Wohnung; und ich halt es nicht mehr aus, Eleanor jeden Tag zu sehen. Es bricht mir das Herz.« Charlie zögerte keine Sekunde. »Wär toll, wenn du hier einziehen würdest.«
    »Großartig, Mann. Danke.«
    Ich ging die Straße entlang, lachte und amüsierte mich darüber, daß Charlie sich hier in Amerika den Cockney-Slang angewöhnt hatte; dabei gehörte es zu meinen frühesten Erinnerungen, daß ich ihn flennend dahocken sah, als sich eines dieser stinkenden Zigeunerkinder über ihn lustig gemacht hatte, weil er so hochgestochen daherredete. Ich hatte auch noch nie jemanden so reden hören. Jetzt versuchte er sogar manchmal, in Cockney zu reimen und Wortspielchen zu machen. »Ich heb den Fuß, weil ich mal muß«, sagte er zum Beispiel, wenn er auf die Toilette

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