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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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berühmten Schriftstellern und Filmproduzenten im Russian Tea Room sitzen. Ich sah ihn mit Frauen nach oben gehen, mit Intellektuellen diskutieren und für die italienische »Vogue« fotografiert werden. Und nur ich konnte wirklich begreifen, wie weit der Weg war, den er seit Beckenham zurückgelegt hatte. Es war fast so, als wäre Charlies Erfolg beinahe bedeutungslos gewesen, gäbe es mich nicht, um ihn mit mir zu feiern. Mit anderen Worten, ich war ein mannshoher Spiegel für Charlie, doch ein Spiegel, der sich erinnern konnte.
    Mein erster Eindruck, daß Charlie durch den Erfolg stärker zu sich selbst gefunden hatte, war falsch gewesen; zu vieles an Charlie war mir unklar, weil ich es nicht klarer sehen wollte. Charlie zitierte Milton: »O dark, dark, dark«; und Charlie war dark, war düster, unglücklich, wütend. Ruhm und Erfolg bedeuteten in England und in Amerika nicht dasselbe. In England hielt man jeden für vulgär, der sich selbst inszenierte, doch in Amerika war Ruhm ein Wert an sich, bedeutete mehr als Geld. Selbst die Verwandten der Berühmten waren berühmt, denn Ruhm war erblich: Die Kinder der Stars waren selbst wieder kleine Stars. Und Ruhm verschaffte einem auch da noch Zutritt, wo Geld allein nicht ausreichte. Charlie hatte seit dem Augenblick berühmt werden wollen, als er das angebetete Konterfei von Brian Jones an die Wand seines Schlafzimmers geheftet hatte. Als er dann berühmt war, hatte er ziemlich schnell gemerkt, daß er den Ruhm nicht loswerden konnte, wenn er für eine Weile genug davon hatte. Er saß zum Beispiel mit mir in einem Restaurant, sagte stundenlang keinen Ton, um dann plötzlich aufzuschreien: »Warum starrt ihr mich alle an, nur weil ich etwas essen will? Diese Frau da, mit dieser komischen Puderquaste auf dem Kopf, sie soll sich endlich verpissen!« Er war gefragt. Fisch sorgte dafür, daß Charlie der Öffentlichkeit im Gedächtnis haften blieb, ließ ihn in Talk-Shows auftreten, schleppte ihn zu Premieren und Galerien, wo man von ihm erwartete, daß er sich lustig und rebellisch aufführte. Eines Abends kam ich ziemlich spät auf eine Party und sah, wie Charlie sich gegen die Bar lehnte und trübsinnig und genervt dreinschaute, weil die Gastgeberin ihn gebeten hatte, sich mit ihr fotografieren zu lassen. Charlie konnte sich an diesen Rummel einfach nicht gewöhnen: Dazu fehlte ihm das Talent.
    Es geschah zweierlei, das den Wunsch in mir festigte, endgültig aus Charlies Leben zu verschwinden und nach England zurückzukehren. Eines Tages, als wir gerade aus dem Aufhahmestudio kamen, redete uns ein Mann an. »Ich bin Journalist«, sagte er. Er sprach mit englischem Akzent, war ungefähr vierzig, kurzatmig und hatte weder ein Gesicht noch Haare, die der Erwähnung wert wären. Er stank nach Fusel und sah jämmerlich aus. »Du kennst mich. Tony Bell. Ich hab für den >Mirror< in London gearbeitet. Ich brauch unbedingt ein Interview. Laß uns einen Termin verabreden. Ich bin gut. Ich kann sogar die Wahrheit schreiben.«
    Charlie schlenderte einfach wortlos an ihm vorbei. Der Journalist war verzweifelt und schamlos. Er lief neben uns her.
    »Ich laß dich nicht in Ruhe«, keuchte er. »Typen wie ich haben dich erst berühmt gemacht. Ich habe sogar deine verdammte Mutter interviewt.«
    Er griff nach Charlie, und das hätte er nicht tun sollen. Charlie schlug ihm mit der Handkante auf den Arm, aber der Mann hielt ihn immer noch fest. Charlie boxte ihm spielerisch gegen den Schädel. Der Mann ging wie betäubt in die Knie und fuchtelte dabei mit den Armen, wie jemand, der um Vergebung fleht. Aber Charlies Wut war noch nicht erschöpft. Er trat dem Mann gegen die Rippen, und als der auf die Seite fiel und nach Charlies Beinen langte, trat ihm Charlie mit voller Wucht auf die Hand. Der Mann lebte in unserer Nachbarschaft. Wenigstens einmal die Woche sah ich ihn, wie er seine Einkäufe mit der gesunden Hand nach Hause schleppte.
    Der andere Grund, weshalb ich aus New York fort wollte, war sexueller Natur. Charlie machte gern Experimente. Seit unserer Schulzeit, als wir darüber debattiert hatten, mit welcher der menstruierenden Köchinnen wir Cunnilingus machen wollten (und keine von ihnen war unter sechzig), hatten wir nur eins im Sinn: Frauen vögeln, so viele wie irgend möglich. Und wie Menschen, die in Zeiten des Mangels und der Rationierung aufgewachsen sind, konnte keiner von uns vergessen, wie sehr wir uns nach Sex gesehnt hatten oder wie schwierig es gewesen war, eine

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