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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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MOMA-Katalog stellte und mit elegantem Schwung öffnete, imponierte ihm. Charlie leckte sich die Finger und zeigte ihm die Mengen an: soundsoviel Gras, diese Menge Koks, ein paar Pillen zum Aufputschen, ein paar zum Abturnen und soviel H zum Schnupfen.
    Unser Stück hielt sich nicht lange in New York - gerade mal einen Monat -, weil Eleanor sich eine kleine Rolle in einem großen Film ergattert hatte und mit den Dreharbeiten beginnen mußte. Das Stück brachte nicht genug ein, als daß es sich gelohnt hätte, Eleanors Part mit einer anderen Schauspielerin zu besetzen; außerdem war Pyke in San Francisco, um dort zu unterrichten.
    Als das Ensemble nach London zurückkehrte, zerriß ich mein Ticket und blieb in New York. Es gab nichts in London, was meine Anwesenheit dort verlangt hätte, und mein Herumlungern wäre von meinem Vater bloß mißtrauisch beäugt worden. Er würde es als Argument gegen mich gebrauchen, daß ich doch endlich Arzt werden oder zumindest einen konsultieren sollte. In New York konnte ich mich meiner Trägheit hemmungslos hingeben.
    Mir gefiel es, durch die Stadt zu schlendern, mit Charlie in Restaurants zu essen, Einkäufe für ihn zu erledigen (ich kaufte Autos und Grundbesitz für ihn), das Telefon zu beantworten und mich mit britischen Musikern herumzutreiben, die gerade auf der Durchreise waren. Wir waren zwei Engländer in Amerika, im Geburtsland der Musik, und Mick Jagger, John Lennon und Johnny Rotten wohnten bei uns um die Ecke. Es war ein Traum, der Wirklichkeit geworden war.
    Meine Depression und Selbstverachtung, mein Wunsch, mich selbst mit Flaschenscherben zu verstümmeln, meine Benommenheit, meine Heulkrämpfe, meine tagelange Unfähigkeit, aus dem Bett zu steigen, das Gefühl, die Welt stürze auf mich ein, um mich zu vernichten, hörten trotzdem nicht auf. Aber ich wußte auch, daß ich nicht dabei war, verrückt zu werden, selbst wenn diese Erlösung, dieses Sichgehenlassen eine Freiheit war, nach der ich mich gesehnt hatte. Ich wartete darauf, daß meine Wunden verheilten.
    Allmählich fragte ich mich, wieso ich so stark war - was mich eigentlich zusammenhielt. Wahrscheinlich hatte ich Dads starken Überlebensinstinkt geerbt. Dad hatte sich den Engländern immer überlegen gefühlt, was eine Folge seiner indischen Kindheit war: Politische Wut wurde ihm zu Spott und Verachtung. In Indien hatte er die Briten für lächerlich, steif, unsicher und obrigkeitshörig gehalten. Und er ließ mich spüren, daß wir uns in den Augen dieser Leute die Blamage eines Versagens nicht leisten konnten. Wir durften es nicht zulassen, daß die Ex-Kolonialisten einen von uns auf den Knien am Boden liegen sahen, denn diese Haltung erwarteten sie von unsereinem. Jetzt waren sie am Ende, ihr Empire untergegangen, ihre Tage vorbei und wir waren dran. Ich wollte nicht, daß Dad mich so sah, weil er nicht begriffen hätte, wie ich die Sache so hatte verpfuschen können, wo die Bedingungen doch so gut und die Zeit für einen Aufstieg so günstig gewesen waren.
    Charlie gab mir Geld, wenn ich welches brauchte, und er ermutigte mich zu meiner Entscheidung, in New York zu bleiben. Aber nach sechs Monaten sagte ich zu ihm, es würde Zeit für mich, ich müßte zurück. Ich war für ihn eine Last, eine Plage, ein Parasit, davon war ich überzeugt, obwohl er sich nie beschwert hatte. Er sagte mit väterlicher Stimme und allem Nachdruck: »Du bleibst hier, wo du auch hingehörst, Karim. Da draußen gibt es viel zu viele Arschlöcher, und hier hast du schließlich alles, was du brauchst, oder etwa nicht?«
    »Klar, hab ich.«
    »Was ist also dein Problem, Mann?«
    »Gibt keins«, sagte ich. »Ich will nur -«
    »Dann ist ja alles in Ordnung. Laß uns Klamotten kaufen gehen, okay?«
    Er wollte nicht, daß ich ihn verließ. Sie war wirklich ganz schön verrückt, unsere wachsende gegenseitige Abhängigkeit. Ich glaubte, er hatte mich gern als eine Art Zeugen um sich. Anderen Leuten gegenüber gab er sich reserviert, rätselhaft, lakonisch; er hatte alle Qualitäten, auf die Zeitschriftenleser scharf waren, und trug seine Jeans mit einem gewissen Schick. Aber mir erzählte er gern alles bis ins letzte Detail, so, wie es Schuljungen tun. Mit mir zusammen konnte er von neuen Bekanntschaften geblendet sein, durfte von den Häusern, die er betrat, von den Geschenken, mit denen er eingedeckt wurde, überwältigt sein. Ich, Karim, sah ihn in die Edellimousinen steigen, und ich, Karim, sah ihn mit Schauspielern,

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