Der Buddha aus der Vorstadt
vorbeizusehen. »Ich muß gehen«, sagte ich.
»Nur eins noch«, meinte er.
»Was denn?«
»Ich geb meinen Job auf. Ich hab gekündigt. All die vergeudeten Jahre.« Er warf die Arme in die Luft. »Von jetzt ab werde ich unterrichten und nachdenken und zuhören. Ich will mich mit anderen darüber unterhalten, wie wir unser Leben leben sollen, welchen inneren Werten wir folgen, welche Art Mensch aus uns geworden ist, und wie wir uns entfalten können, wenn wir es wirklich wollen. Ich will Leute zum Denken anregen, zur Kontemplation, zum Ausleben ihrer Begierden. In welcher Schule wird schon Meditation gelehrt? Ich will anderen helfen, die tiefere Weisheit ihres eigenen Selbst zu erkunden, die nur allzuoft unter der Hektik des Alltags verborgen liegt. Ich will mein eigenes Leben so intensiv wie möglich gestalten! Gut, was?«
»Das Beste, was ich je von dir gehört habe«, sagte ich sanft. »Meinst du wirklich?« Mein Vater glühte vor Begeisterung. »Du glaubst nicht, was ich in der letzten Zeit für Tagträume gehabt habe. Augenblicke, in denen das Universum der Gegensätze mit sich versöhnt war. Welche Ahnungen von einem erfüllteren Leben! Denkst du nicht auch, daß sich für freie Geister wie mich ein Platz auf dieser Erde finden lassen sollte, für weise alte Narren wie die Sophisten und Zen-Lehrer, die erkenntnistrunken umherwandern und Philosophie, Psychologie und die Kunst des Lebens lehren? Wir haben die Frage nach der Realität zu rasch für beantwortet erklärt, Karim. Unser Geist ist umfassender und vielfältiger, als wir es uns je haben träumen lassen! Ich will jungen Menschen, die sich selbst verloren haben, diese einleuchtenden Tatsachen vor Augen führen.«
»Gute Idee, ausgezeichnet.«
»Karim, das ist der Sinn meines Lebens.«
Ich zog meine Jacke an und verabschiedete mich von ihm. Er sah mir nach, als ich über die Straße ging; wahrscheinlich unterhielt er sich immer noch mit mir. Ich nahm den Bus und fuhr durch Südlondon. Ich war ziemlich aufgewühlt. Im Haus traf ich Allie, der sich gerade anzog und dabei Cole-Porter-Songs hörte. »Mum ist noch nicht da«, meinte er. Sie war noch nicht vom Gesundheitszentrum zurück, wo sie inzwischen als Sprechstundenhilfe für drei Ärzte arbeitete.
Der kleine Allie war in Sachen Mode ziemlich affig geworden. Er trug tadellose italienische Klamotten, gewagt und farbenfroh, ohne vulgär zu wirken, teuer und doch genau richtig: die Reißverschlüsse nicht zu auffällig, die Nähte gerade, und die Socken exakt abgestimmt - einen modischen Mann erkennt man immer an seinen Socken. Er wirkte nicht einmal deplaziert, wie er da auf Mums Sofa aus Lederimitat saß, die Schuhe auf Mums Secondhand-Teppich wie Juwelen auf Toilettenpapier, und vor sich das geblümte Sitzkissen. Manche Menschen wußten einfach, wie man sich präsentierte, und ich war froh, daß mein Bruder zu ihnen gehörte. Außerdem hatte Allie Geld; er arbeitete für einen Modedesigner. Er und ich sprachen wie Erwachsene miteinander; was blieb uns auch anderes übrig? Trotzdem waren wir schüchtern und etwas verlegen. Allies ironische Haltung änderte sich erst, als ich ihm von meiner Rolle in der Fernsehserie erzählte. Ich machte nicht viel Aufhebens davon: Ich redete, als würde ich denen einen großen Gefallen tun, wenn ich die Rolle annahm. Aber Allie sprang auf und klatschte in die Hände. »Das ist doch großartig, Mann! Fantastisch, Karim!« Ich begriff das nicht: Allie konnte sich gar nicht mehr beruhigen, dabei kam es mir selbst so bedeutungslos vor.
»Du bist doch sonst nicht so«, sagte ich mißtrauisch, nachdem er all seine Freunde angerufen und ihnen von meinem Job erzählt hatte. Ist irgendwas mit deinem Kopf nicht in Ordnung, Allie? Oder willst du mich verarschen?«
»Nein, ehrlich, ich mein’s ernst. Dieses letzte Stück, bei dem Pyke die Regie geführt hat, das war gut, an manchen Stellen sogar richtig unterhaltsam.«
»Yeah?«
Er schwieg einen Moment lang, vielleicht hatte er Angst, daß sein Lob zu herzlich ausgefallen war. »Wirklich, ein gutes Stück - nur ein bißchen hippie.«
»Hippie? Was meinst du mit hippie?«
»Es war zu idealistisch. Das Politische daran ging mir auf die Nerven. Wer kann die schon ausstehen, diese ewig jammernden Linken.«
»Wieso? Was meinst du?«
»Die mit diesen Klamotten, die aussehen wie die letzten Lumpen. Außerdem hasse ich Typen, die einem ständig erzählen müssen, wie schwarz sie sind, und daß sie in der Schule unterdrückt
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