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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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über die rohen Zwiebeln. An dem Chapati verbrannte ich mir die Finger: Es war mörderisch heiß.
    »Nimm es bitte mit nach oben, Karim«, sagte sie.
    Von der Kasse rief ihre Mutter zu uns herüber. »Nein, Jamila, nicht nach oben!« Sie knallte eine Flasche Milch so laut auf den Tisch, daß der Kunde zusammenzuckte.
    »Was ist denn, Tante Jeeta?« fragte ich. Sie begann zu weinen.
    »Komm schon«, sagte Jamila.
    Ich schob mir soviel Kebab ins Maul, wie ich nur konnte, ohne zu kotzen, während Jamila mich nach oben zerrte und ihre Mutter hinter uns her rief: »Jamila, Jamila!«
    Ich wäre jetzt lieber nach Hause gegangen; ich hatte genug von diesen Familiendramen. Um diese ganze Ibsen-Scheiße zu erleben, hätte ich gar nicht rauszugehen brauchen. Außerdem wollte ich mir mit Jamilas Hilfe darüber klarwerden, was ich von Dad und Eva zu halten hatte, ob ich großmütig sein sollte oder nicht. Aber ruhiges Nachdenken war hier wohl kaum möglich.
    Auf halbem Weg nach oben roch ich etwas Verfaultes. Es roch, als wirbelten hier Schweißfüße und Arschlöcher und Fürze durcheinander, ein Gemisch von Winden, die direkt in meine breiten Nasenlöcher wehten. Diese Wohnung war schon immer ein Trödelladen gewesen, mit zerbrochenen Möbeln und Fingerabdrücken überall auf der Tür, der hundert Jahre alten Tapete und den Zigarettenstummeln auf jeder freien Fläche, aber es hatte noch nie gestunken, höchstens nach Jeetas wundervollen Leckereien, die ständig in großen, verrußten Töpfen vor sich hin brutzelten.
    Anwar saß auf einem Bett im Wohnzimmer. Es war nicht sein Bett, und es stand nicht an seinem üblichen Platz. Er trug eine zerschlissene und schimmlig aussehende Schlafanzugjacke, und ich sah, daß seine Zehennägel eine gewisse Ähnlichkeit mit Cashewnüssen hatten. Aus irgendeinem Grund stand sein Mund offen, und er keuchte, obwohl er in den letzten fünf Minuten kaum einem Bus hinterhergerannt sein konnte. Er war unrasiert und magerer, als ich ihn je zuvor gesehen hatte. Seine Lippen waren trocken und aufgeplatzt. Seine Haut sah gelb aus, und seine Augen waren eingefallen; sie sahen aus, als lägen sie mitten in einem Bluterguß. Neben seinem Bett stand ein dreckiger, verkrusteter Topf, in dem eine Pißpfütze stand. Ich hatte noch nie jemanden sterben sehen, aber ich war überzeugt, daß Anwar auf dem besten Wege dazu war. Anwar starrte auf mein dampfendes Kebab, als wäre es ein Folterinstrument. Ich kaute schneller.
    »Warum hast du mir nicht gesagt, daß er krank ist?« flüsterte ich Jamila zu.
    Aber ich war mir nicht sicher, ob er wirklich nur krank war, denn in ihrem Gesicht war jedes Mitleid von Wut überdeckt. Sie funkelte den alten Mann an, aber er wich ihren Blicken aus, und, als ich hereinkam, meinen auch. Er starrte direkt vor sich hin, wie er immer auf den Bildschirm des Fernsehers starrte, nur daß der diesmal nicht eingeschaltet war.
    »Er ist nicht krank«, sagte sie.
    »Nein?« sagte ich, und dann zu ihm: »Hallo, Onkel Anwar. Wie geht’s denn so, Chef?«
    Seine Stimme hatte sich verändert: sie klang schwach und dünn. »Halt mir dein verfluchtes Kebab nicht unter die Nase«, sagte er. »Und bring das verdammte Mädchen hier raus.«
    Jamila faßte mich am Arm. »Sieh her.« Sie setzte sich auf den Bettrand und beugte sich zu ihm vor. »Bitte, bitte, hör auf damit.«
    »Verschwinde!« krächzte er. »Du bist nicht meine Tochter. Ich kenne dich nicht.«
    »Um Himmels willen, hör auf! Schau, hier ist Karim, der dich lieb hat -«
    »Ja, natürlich!« sagte ich.
    »Er hat dir ein schönes, leckeres Kebab mitgebracht!« »Warum ißt er es dann selbst?« fragte Anwar berechtigterweise. Sie riß mir das Kebab aus der Hand und schwenkte es vor ihrem Vater hin und her. Mein armes Kebab löste sich dabei in seine Bestandteile auf, und Fleischstückchen, Chili und Zwiebeln verteilten sich über das Bett. Anwar achtete nicht darauf.
    »Was geht hier eigentlich vor?« fragte ich.
    »Sieh ihn dir an, Karim, er hat seit acht Tagen nichts gegessen oder getrunken! Er wird sterben, Karim, wenn er nichts ißt!«
    »Ja, das stimmt. Du wirst ins Gras beißen, Chef, wenn du deinen Fraß nicht frißt, wie jeder andere auch.«
    »Ich werde nichts essen. Ich werde sterben. Wenn Gandhi mit Fasten die Engländer aus Indien vertreiben konnte, werde ich meine Familie mit den gleichen Mitteln dazu zwingen, mir zu gehorchen.«
    »Was willst du denn, was soll sie denn machen?«
    »Den Jungen heiraten, den mein Bruder und

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