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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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wieder gingen wir als schwarze Amerikaner. Das Problem war, daß wir eigentlich Engländer sein sollten, aber für Engländer waren wir nur Ausländer und Nigger und Pakis und was weiß ich noch.
    Verglichen mit Jammie, war ich im Straßenkampf ein echter Hasenfuß. Wenn man mich anspuckte, dann war ich noch beinahe dankbar dafür, daß ich nicht auf dem Moos zwischen den Pflastersteinen herumkauen mußte. Jamila dagegen hatte den Doktortitel in körperlichen Vergeltungsmaßnahmen. Einmal fuhr so ein Widerling auf dem Fahrrad an uns vorbei und sagte, in einem Ton, als fragte er nach der Uhrzeit: »Freßt Scheiße, ihr Pakis.« Jammie sprintete durch den Verkehr, warf den Pisser vom Fahrrad und riß ihm einige Büschel Haare aus, als würde sie in einem verwilderten Garten Unkraut jäten.
    Im Laden bediente Tante Jeeta gerade einen Kunden und steckte ihm Brot, Orangen und Tomatendosen in eine braune Tüte. Jamila nahm mich überhaupt nicht zur Kenntnis, also wartete ich bei Tante Jeeta, deren kummervolles Gesicht über die Jahre hinweg bestimmt Tausende von Kunden vertrieben hatte, ohne daß einer von ihnen je gemerkt hätte, daß sie eine Prinzessin war, deren Brüder mit Gewehren herumliefen.
    »Wie geht es deinem Rücken, Tante Jeeta?« fragte ich. »Krumm wie eine Haarnadel vor lauter Sorgen«, sagte sie. »Wie kannst du dir nur Sorgen machen, Tante Jeeta, bei deinem blühenden Geschäft?«
    »Kümmer du dich nicht um meine verschimmelten Sachen hier. Nimm Jamila mit auf einen eurer Spaziergänge. Mach es bitte mir zuliebe, ja?«
    »Was ist los?«
    »Hier ist ein Samosa, Feuerschlucker. Extra scharf für neugierige Jungs.«
    »Wo ist Onkel Anwar?« Sie sah mich traurig an. »Und wie heißt der Premierminister?« fügte ich hinzu.
    Jamila und ich zogen los und durchquerten Penge im Eilschritt. Jamila hatte ein regelrechtes Marschtempo drauf, und wenn sie über die Straße wollte, dann spazierte sie einfach mitten in den Verkehr hinein und erwartete, daß die Autos anhielten oder ihretwegen langsamer fuhren, was sie auch taten. Schließlich fragte sie, was sie immer fragte: »Was hast du mir zu erzählen, Milchgesicht? Was gibt’s zu berichten?« Fakten wollte sie hören und gute Geschichten, je schlimmer, desto besser - Geschichten von Peinlichkeiten, Demütigungen und Versagen, dreckige und samenbefleckte Geschichten. Hatte ich nichts zu erzählen, würde sie mich einfach stehenlassen und wie ein unzufriedener Theaterbesucher wieder gehen. Aber diesmal war ich vorbereitet. Knallharte Geschichten warteten auf sie wie Getränke auf den Durstigen. Ich erzählte ihr alles über Dad und Eva, über Tante Jeans Stimmung, und wie sie mich so fertiggemacht hatte, daß ich furzen mußte. Ich erzählte ihr von Trancezuständen, von betenden Werbefritzen und von den Versuchen auf einer Gartenbank in Beckenham, den wahren Weg zu finden.
    Aber ich erzählte ihr nichts von der großen dänischen Dogge. Jedesmal, wenn ich sie fragte, was ich ihrer Meinung nach wegen Dad und Mum und Eva unternehmen sollte, ob ich wieder von zu Hause weglaufen sollte oder ob wir zusammen in die City fliehen und uns Arbeit als Kellner suchen sollten, lachte sie etwas lauter.
    »Kapierst du denn nicht, daß es verdammt ernst ist?« fragte ich sie. »Dad darf Mum nicht so verletzen. Sie hat das nicht verdient.«
    »Nein, hat sie nicht. Aber was in diesem Garten in Beckenham geschehen ist, ist schließlich geschehen, und du hast in deiner typischen Haltung, auf den Knien, dabei zugesehen. O Milchgesicht, du gerätst wirklich in komische Situationen. Merkst du eigentlich, wie absolut charakteristisch das für dich ist?«
    Sie lachte so heftig über mich, daß sie anhalten mußte und sich vorbeugte, die Hände auf die Oberschenkel stützte und nach Atem rang. Ich ging weiter. »Aber meinst du nicht, daß Dad sich zusammenreißen und an uns denken sollte? An seine Familie? Daß wir ihm wichtiger sein sollten?«
    Erst jetzt, als ich zum erstenmal darüber redete, merkte ich, wie unglücklich mich die ganze Angelegenheit machte. Unser Familienleben lag in Trümmern, und kein Mensch verlor ein Wort darüber.
    »Manchmal kannst du so richtig spießig sein, du Milchgesicht in Jeanshosen. Familien sind keine Heiligtümer, besonders nicht für indische Männer, die über nichts anderes reden und doch anders handeln.«
    »Dein Vater ist nicht so«, sagte ich. Sie putzte mich immer so runter. Heute konnte ich das überhaupt nicht vertragen. Jammie war so stark,

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