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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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ich ihr ausgesucht haben.«
    »Aber das ist doch altmodisch, Onkel, völlig überholt«, erklärte ich ihm. »Heutzutage macht das keiner mehr so. Man heiratet den Menschen, mit dem man gerade was hat, wenn man sich überhaupt mit Heiraten abgibt.«
    Diese Predigt über zeitgenössische Moral warf ihn nicht gerade von der Bettkante.
    »Das ist nicht unsere Art, Junge. Unser Weg ist klar und deutlich. Sie muß tun, was ich ihr sage, oder ich werde sterben. Sie wird mich umbringen.«
    Jamila begann, mit ihren Fäusten auf das Bett einzuschlagen.
    »Es ist so dumm! Was für eine Verschwendung von Zeit und Leben!«
    Anwar blieb ungerührt. Ich hatte ihn immer gemocht, weil er in allem so locker war; er war nicht so ewig ängstlich wie meine Eltern. Und jetzt machte er einen großen Aufruhr nur wegen einer Heirat, und ich konnte es nicht begreifen. Es machte mich traurig, zu sehen, was er sich antat. Ich konnte nicht glauben, was die Menschen sich alles antaten, wie sie sich ihr Leben versauten und dafür sorgten, daß alles schiefging, so wie Dad, der sich mit Eva herumtrieb, oder wie Ted, der zusammenbrach, und jetzt verordnete Onkel Anwar sich auch noch diese radikale Gandhi-Diät. Es waren keine äußeren Umstände, die sie in diesen Wahnsinn trieben; es waren eindeutig nur die Illusionen in ihren Köpfen.
    Angesichts von Anwars Irrationalität begann ich zu zittern. Ich merkte, daß mein Kopf in alle Richtungen zuckte. Anwar hatte sich aller Vernunft, aller Überredung, allem gesunden Menschenverstand verschlossen. Sogar Glück, das so häufig Dreh- und Angelpunkt unserer Entscheidungen ist, spielte hier keine Rolle mehr - Jamilas Glück, meine ich. Wie Jamila wollte ich mich irgendwie körperlich ausdrücken. Es schien uns nichts anderes mehr übriggeblieben zu sein. Ich trat ziemlich heftig gegen Anwars Pißpott, und eine kleine Urinwelle schwappte über die überhängenden Bettlaken. Anwar beachtete mich nicht. Jamila und ich standen da und wollten gehen. Aber jetzt hatte ich dafür gesorgt, daß mein Onkel in seiner eigenen Pisse schlafen mußte. Und wenn er später seinen Mund, seine Nase gegen diese Stelle seines Lakens preßte? War Onkel Anwar nicht immer freundlich zu mir gewesen? Hatte er mich nicht immer so akzeptiert, wie ich war, und mich nie ausgeschimpft? Ich stürzte ins Badezimmer, holte ein feuchtes Tuch und ging zurück, um das bepißte Laken so lange einzuweichen, bis es wenigstens nicht mehr stank. Es war unvernünftig von mir, seine Unvernunft so sehr zu hassen, daß ich Pisse über seinem Bett verschüttete. Aber als ich sein Laken schrubbte, merkte ich, daß er gar nicht begriff, was ich da, neben ihm auf den Knien, eigentlich tat.
    Jamila kam nach draußen, als ich mein Fahrrad aufschloß. »Was wirst du jetzt machen, Jammie?«
    »Ich weiß nicht. Was schlägst du vor?«
    »Ich weiß es auch nicht.«
    »Nein?«
    »Aber ich werde drüber nachdenken«, sagte ich. »Ich versprecht es dir, ich werde eine Lösung finden.«
    »Danke.«
    Sie begann hemmungslos zu weinen, ohne ihr Gesicht zu verbergen, und sie versuchte auch nicht, damit aufzuhören. Normalerweise macht es mich verlegen, wenn Mädchen weinen. Manchmal könnte ich ihnen eine knallen, weil sie so einen Aufstand machen. Aber Jamila saß wirklich in der Klemme. So standen wir da draußen vor dem Kaufhaus Paradies bestimmt eine halbe Stunde lang, hielten uns einfach nur umarmt und dachten an unsere jeweilige Zukunft.
     

Kapitel fünf

    Ich trank gerne Tee, und ich fuhr gern Fahrrad. Ich fuhr oft zum Teeladen in der High Street, um zu sehen, welche neuen Mischungen sie hatten. In meinem Schlafzimmer standen stapelweise Teedosen, und ich war selig, wenn ich neue Sorten fand, die ich in meiner Teekanne zu noch originelleren Mixtees aufbrühen konnte. Ich sollte mich eigentlich auf die Abi-Vorprüfungen in Geschichte, Englisch und Gemeinschaftskunde vorbereiten, aber was auch immer kommen mochte, ich wußte, ich würde sowieso durchfallen. Ich war zu beschäftigt mit anderen Dingen. Manchmal nahm ich ein paar Speeds - »Blaue«, kleine blaue Tabletten -, um wach zu bleiben, aber sie machten mich depressiv und meine Hoden runzelig, und ich glaubte jedesmal, ich bekäme einen Herzinfarkt. Also süffelte ich meine gewürzten Tees und hörte die ganze Nacht lang Platten. Die ohne Melodie gefielen mir am besten: King Crimson, Soft Machine, Captain Beefheart, Frank Zappa und Wild Man Fisher. Die meisten Platten, die ich haben wollte, ließen sich

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