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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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die mit gesenktem Kopf las und sang und in alten Schulheften herumschrieb. Genau wie ich war sie von all dem »alten, langweiligen, weißen Scheiß« fortgelaufen, den sie einem in der Schule und am College beibrachten. Aber sie war nicht faul, sie bildete sich selbst weiter. Sie wußte, was sie lernen wollte, und sie wußte, wo sie es lesen konnte; sie brauchte es sich nur noch in ihren Kopf zu schaufeln. Wenn ich Jamila zusah, dachte ich mir oft, daß es auf der Welt drei Arten von Menschen gab: diejenigen, die wissen, was sie tun wollen; die, die nie wußten, was der Sinn und Zweck ihres Lebens ist (das sind die unglücklichsten); und die, die es erst später herausfinden. Ich vermutete, daß ich zur letzten Sone gehörte, was mich aber nicht daran hinderte, mir zu wünschen, ich wäre in die erste hineingeboren.
    Im Wohnzimmer standen zwei Sessel, und um einen Tisch, an dem wir unser Fast Food aßen, standen zwei Stahlrohrstühle mit ekelhaften weißen Plastiksitzen. Von Anfang an hatte Jamila darauf bestanden, daß Changez auf dem niedrigen Feldbett unter den braunen Decken schlief. Es war nie darüber diskutiert worden, und im entscheidenden Moment, als er - vielleicht - noch etwas hätte tun können, hatte Changez keinen Einspruch erhoben. An ihrem Verhältnis hatte sich nichts geändert, seit sie dafür gesorgt hatte, daß er im Ritz die Nacht auf dem Boden neben dem Hochzeitsbett verbrachte.
    Während Jamila in ihrem Zimmer arbeitete, lag Changez glücklich und zufrieden auf seinem Feldbett und hielt sich mit seinem gesunden Arm ein Taschenbuch vor die Augen, zweifellos eines seiner Specials. »Das ist wirklich ein echter Extra-Special«, sagte er, und warf noch einen Spillane, einen James Hadley Chase oder Harold Robbins zur Seite. Ich denke oft, daß der ganze Ärger, der sich anbahnte, damit begann, daß ich Changez einen Harold Robbins zu lesen gab, denn der erregte Changez, wie Conan Doyle es nie getan hatte. Wenn jemand glaubt, Bücher verändern Menschen nicht, dann soll er einen Blick auf Changez werfen, denn plötzlich kamen ihm bisher unerträumte Möglichkeiten in Sachen Sex in den Sinn, ihm, einem Mann, der frisch verheiratet war, absolut zölibatär lebte und England für das hielt, was für uns Schweden war: eine Goldgrube erotischer Gelegenheiten. Bevor es mit den Sexproblemen so richtig losging, gab es da allerdings noch den Ärger, der sich zwischen Anwar und Changez zusammenbraute. Nachdem Anwar durch seine Gandhi-Diät, die Changez überhaupt erst nach England gebracht hatte, so schwach geworden war, wurde Changez nämlich dringend im Laden gebraucht.
    Zu Beginn von Changez’ Karriere im Gemüsehandel zeigte Anwar ihm, wie man die Kasse bedient, an der man auch mit einem Arm und einem halben Hirn noch gut zurechtkommen konnte. Anwar war sehr geduldig; er sprach mit Changez wie mit einem Vierjährigen, und das war genau der richtige Ton. Aber Changez war zu schlau für Anwar. Er machte ihm klar, daß er beim Broteinwickeln und Wechselgeldherausgeben einfach ein hoffnungsloser Fall war. Er kam mit dem Rechnen nicht zu Rande. An der Kasse bildeten sich so lange Schlangen, daß die ersten Kunden wieder aus dem Laden gingen. Und Anwar schlug vor, er solle ein andermal mit der Arbeit an der Kasse weitermachen. Anwar würde schon noch etwas für ihn finden, das ihn in Gemüsehändlerstimmung versetzen würde.
    Changez’ neue Aufgabe war es, hinter der Gemüseabteilung auf einem dreibeinigen Schemel zu sitzen und auf Ladendiebe zu achten. Die Arbeit war einfach: Man sah jemanden, der etwas stehlen wollte, und schrie: »Leg das zurück, du verfluchter, dreckiger Dieb!« Aber Anwar hatte nicht damit gerechnet, daß Changez die hohe Kunst des Im-Sitzen-Schlafens beherrschte. Jamila erzählte mir, daß Anwar eines Tages in den Laden gekommen sei und gesehen habe, wie Changez auf seinem Stuhl saß und schnarchte, während ein LD sich direkt vor seinen geschlossenen Augen ein Glas Heringe in die Hose schob. Anwar explodierte. Er griff nach einem Büschel Bananen, warf es nach seinem Schwiegersohn und traf ihn so hart gegen die Brust, daß Changez vom Schemel fiel und sich an seinem gesunden Arm eine böse Prellung zuzog. Er wand sich am Boden und konnte alleine nicht wieder aufstehen. Schließlich mußte Prinzessin Jeeta Changez helfen und ihn aus dem Laden bringen. Anwar schrie auf Jeeta und Jamila ein und brüllte sogar mich an. Ich konnte über Anwar nur lachen, wie wir alle, aber keiner wagte es,

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