Der Buddha aus der Vorstadt
Zärtlichkeit erregte, als ich mich auszog, die Kerzen anzündete und in diesem Zimmer Evas in die Wanne stieg.
Später am Abend kam sie noch in mein Zimmer, im Kimono. Sie brachte mir ein Glas Champagner und hielt ein Buch in der Hand. Ich sagte ihr, daß sie glücklich und wie von innen erleuchtet aussehe, und das ließ sie noch glücklicher und noch strahlender aussehen. Komplimente waren nützliche Hilfsmittel im Geschäft mit der Freundschaft, sagte ich mir, aber in ihrem Fall stimmten sie tatsächlich. Sie erwiderte: »Danke. Es freut mich, daß du das sagst. Ich war schon lange nicht mehr glücklich, aber ich glaube, jetzt werde ich es sein.«
»Was ist das für ein Buch?« fragte ich.
»Ich werde dir daraus vorlesen«, sagte sie, »damit du den Klang von guter Prosa schätzen lernst. Und weil du mir in den nächsten Monaten, wenn ich koche oder Hausarbeiten erledige, etwas vorlesen wirst. Du hast eine gute Stimme. Dein Dad sagte mir, daß du einmal Schauspieler werden wolltest.«
»Ja.«
»Dann sollten wir mal konkret darüber nachdenken.«
Eva setzte sich auf den Bettrand und las »The Selfish Giant«, wobei sie alle vorkommenden Personen selbst spielte und beim sentimentalen Schluß der Geschichte die Stimme eines blasierten Pfarrers imitierte. Sie trug nicht zu dick auf; sie wollte mich nur wissen lassen, daß ich mich bei ihr geborgen fühlen könne, daß das Auseinanderbrechen der Ehe meiner Eltern nicht die schlimmste Sache der Welt und ihre, Evas, Liebe groß genug sei, um für uns alle zu reichen. Sie war stark und selbstbewußt geworden. Sie las sehr lange, und es war mir ein besonderes Vergnügen, weil ich wußte, wie ungeduldig mein Vater darauf wartete, in dieser Nacht der Nächte, der ersten Nacht ihrer Flitterwochen, mit ihr zu vögeln. Ich bedankte mich, und sie sagte: »Du bist schön, und den Schönen sollte man geben, was sie sich wünschen.«
»Und was ist mit den Häßlichen?«
»Die Häßlichen«, - sie streckte mir die Zunge raus -, »sind selbst schuld, wenn sie häßlich sind. Man sollte es ihnen vorwerfen, nicht sie bemitleiden.«
Ich lachte darüber, aber es machte mich nachdenklich, und ich fragte mich, ob Charlie nicht etwas von ihrer Grausamkeit geerbt haben konnte. Als Eva gegangen war und ich zum erstenmal mit Charlie, Eva und meinem Vater unter einem Dach lag, dachte ich an den Unterschied zwischen interessanten und netten Menschen, und warum es oft verschiedene Personen sind. Mit den interessanten Menschen will man Zusammensein - ihre Ansichten sind ungewöhnlich, mit ihnen sieht man die Dinge neu, und das Leben ist nicht langweilig und tot. Ich wollte unbedingt wissen, was Eva über bestimmte Sachen dachte, was sie zum Beispiel von Jamila und ihrer Heirat mit Changez hielt. Ich wollte ihre Ansichten kennenlernen. Eva konnte ein Snob sein, das war klar, aber wenn ich irgendwo hingegangen war, mir etwas angesehen oder ein Musikstück gehört hatte, war ich erst zufrieden, wenn Eva mich dazu gebracht hatte, es in einem bestimmten Licht zu sehen. Sie näherte sich den Dingen von einer anderen Seite; sie zog Verbindungen. Dann gab es da noch die netten Menschen, die uninteressant waren und von denen man nicht wissen wollte, was sie dachten. So wie Mum. Sie waren gut und schwach und verdienten mehr Liebe. Aber es waren die Interessanten, die Evas mit ihrer harten, einnehmenden Art, die am Ende alles hatten und mit meinem Vater im Bett lagen.
Als Dad zu Eva und Jamila und Changez in ihre neue Wohnung gezogen waren, hatte ich fünf Plätze, an denen ich bleiben konnte: bei Mum und Tante Jean; in unserem mittlerweile leeren Haus; bei Dad und Eva; bei Anwar und Jeeta; oder bei Changez und Jamila. Als Charlie nicht mehr zur Schule ging, hörte ich auch auf, hinzugehen, und Eva besorgte mir einen Platz auf einem College, an dem ich meinen Abschluß machen konnte. Ich hatte den Eindruck, daß dieses College das Beste war, was mir überhaupt passieren konnte.
Die Lehrer sahen wie die Schüler aus, und alle waren gleichberechtigt, ha, ha, aber ich machte mich gleich lächerlich, als ich die Lehrer mit Sir und die Lehrerinnen mit Miss anredete. Außerdem war ich zum erstenmal zusammen mit Mädchen in einer Klasse und dazu auch noch mit einer üblen Bande. Die feierlichen Bräuche der Unschuld waren, was diese Clique betraf, längst vergessen. Sie lachten ständig über mich, warum, weiß ich nicht; vermutlich hielten sie mich für unreif. Schließlich hatte ich morgens gerade erst
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