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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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fluchend ab. Sie schickte Changez und mich aus dem Laden.
    Blase, der bisher noch nicht viel Zeit gehabt hatte, seine England-Erfahrungen zu verarbeiten, begann jetzt offenbar, über seine Lage nachzudenken. Eheliche Rechte wurden ihm verweigert; Menschenrechte wurden ihm zeitweilig verwehrt; überall bereitete man ihm unnötige Schwierigkeiten; Schimpfworte flogen ihm um den Kopf wie ein Spuckregen - und er war doch ein wichtiger Mann aus einer achtenswerten Bombayer Familie! Was ging hier vor? Es mußte etwas getan werden! Aber das Wichtigste zuerst. Changez suchte in seinen Taschen. Endlich fischte er ein Stück Papier heraus, auf dem eine Telefonnummer stand. »Wenn das so ist -«
    »Wenn was so ist?«
    »Meine Häßlichkeit, die du hilfreicherweise erwähnt hast. Ich muß etwas tun.«
    Changez telefonierte. Es war alles sehr geheimnisvoll. Dann mußte ich ihn zu einem großen, abgelegenen Haus bringen, das in viele einzelne Wohnungen unterteilt war. Eine alte Frau öffnete die Tür - sie schien ihn erwartet zu haben -, und als er hineinging, drehte er sich um und sagte zu mir, ich solle auf ihn warten. Also stand ich wie ein Trottel zwanzig Minuten lang herum. Als er wieder auftauchte, sah ich, wie eine kleine, schwarzhaarige Japanerin mittleren Alters in einem roten Kimono hinter ihm die Tür schloß. »Sie heißt Shinko«, sagte er glücklich, als wir zurück zur Wohnung gingen. Changez’ Hemdzipfel sah wie eine weiße Flagge aus dem offenen Hosenschlitz hervor. Ich beschloß, ihm nichts davon zu sagen.
    »Eine Prostituierte, he?«
    »Sei nicht gemein! Jetzt ist sie eine Freundin. Noch eine Freundin im unfreundlichen, kalten England!« Er sah mich freudestrahlend an. »Sie hat ihre Sache so gemacht, wie es bis auf das I-Tüpfelchen genau bei Harold Robbins beschrieben steht! Karim, all meine Probleme sind gelöst! Ich kann meine Frau auf die normale Art lieben, und Shinko kann ich unnormal lieben! Leihst du mir bitte ein Pfund? Ich möchte Jamila ein paar Pralinen kaufen!«
    Mir gefiel dieses Herumstromern mit Changez, und er gehörte für mich bald zur Familie, zu meinem Leben. Aber ich hatte auch eine richtige Familie, um die ich mich kümmern mußte - nicht um Dad, der war zu beschäftigt, sondern um Mum. Ich rief sie jeden Tag an, aber seit ich bei Eva lebte, hatte ich sie nicht mehr gesehen; ich wollte keinen aus Tante Jeans Haus sehen.
    Als ich dann doch beschloß, nach Chislehurst zu fahren, kamen mir die Straßen im Gegensatz zu Südlondon ruhig und unbewohnt vor, als hätte man den Bezirk evakuiert. Das Schweigen verhieß nichts Gutes; es schien anzuwachsen und bereit, über mich herzufallen. Beinahe das erste, was ich sah, als ich aus dem Zug stieg und wieder durch diese Straßen lief, waren Pelzrücken und sein Hund, die große dänische Dogge. Pelzrücken rauchte Pfeife, lachte und unterhielt sich vor seiner Tür mit einem Nachbarn. Ich ging über die Straße und ein Stück zurück, um ihn mir genau anzusehen. Wie konnte er so unbeschwert herumstehen, wo er mich doch beleidigt hatte? Ich spürte, wie mir plötzlich vor Ärger und Demütigung ganz schlecht wurde - damals hatte ich nichts davon gespürt. Ich wußte nicht, was ich machen sollte. Etwas in mir trieb mich mit aller Macht zurück zum Bahnhof und zum Zug, zurück zu Jamilas Wohnung. So stand ich da, bestimmt fünf Minuten lang, beobachtete Pelzrücken und fragte mich, welchen Weg ich nehmen sollte. Aber was hätte ich Mum sagen sollen? Ich hatte ihr versprochen, sie zu besuchen; ich mußte einfach weiter.
    Ich merkte, daß es mir guttat, daran erinnert zu werden, wie sehr ich die Vorstädte haßte, und daß ich meinen geplanten Umzug nach London und in ein neues Leben nicht aufgeben durfte. Ich wollte mit solchen Menschen und solchen Straßen nichts mehr zu tun haben müssen. Mum hatte sich an dem Tag, als sie unser Haus verließ, in Jeans Haus ins Bett gelegt und war seither nicht wieder aufgestanden. Wenigstens war Ted wieder in Ordnung: Ich freute mich auf ihn. Allie hatte mir erzählt, er habe sich völlig verändert; Ted hatte sein Leben verloren, um es wiederzufinden. Ted war Dads Triumph; er war jemand, den Dad wirklich befreit hatte.
    Seit dem Tag, an dem Dad ihn mit einem Plattenspieler auf dem Schoß exorzierte, hatte Ted nämlich keinen Handschlag mehr getan. Er nahm kein Bad, stand nicht vor elf Uhr auf und las dann Zeitung, bis die Kneipen aufmachten. Die Nachmittage verbrachte er mit langen Spaziergängen oder in

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