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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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Tante Jean. Gott - ich meine Dad - hat sich entschlossen, bei Eva zu bleiben.«

Kapitel sieben

    Das Leben geht seinen mühsamen Gang, monatelang geschieht gar nichts, und dann spielt plötzlich an einem Tag alles, und ich meine alles, verrückt und dreht durch. Als ich nach Hause kam, waren Mum und Dad in ihrem Schlafzimmer, und der arme kleine Allie stand davor und hämmerte wie ein Fünfjähriger gegen die Tür. Ich zerrte ihn fort und wollte ihn nach oben locken, damit er nicht für den Rest seines Lebens an einem Trauma zu leiden hatte, aber er trat mir in die Eier.
    Fast im selben Augenblick traf die Herz-Ambulanz ein: Tante Jean und Onkel Ted. Onkel Ted blieb im Wagen sitzen, während Jean mich zur Seite stieß, als ich die Privatsphäre meiner Eltern schützen wollte, und direkt ins Schlafzimmer stürmte. Von drinnen schrie sie mir Befehle zu. Vierzig Minuten später war Mum zur Abfahrt bereit. Tante Jean hatte ihre und ich Allies Sachen gepackt. Man nahm an, daß ich mit nach Chislehurst fahren würde, aber ich sagte, ich würde später mit meinem Fahrrad nachkommen; ich hätte meine eigenen Pläne. Es war mir klar, daß mich nichts in ihre Nähe bringen würde. Was kann schlimmer sein, als nach Chislehurst umzuziehen? Nicht einmal zwei Tage lang würde ich es aushalten können, morgens als erstes Tante Jean zu sehen, wie sie ohne Make-up, mit einem Gesicht so ausdruckslos wie ein Ei, Dörrpflaumen und Heringe zum Frühstück aß, Zigaretten rauchte und mir ein Glas heißes Wasser mit einem Teebeutel vorsetzte. Außerdem war ich mir sicher, daß sie den ganzen Tag lang über Dad schimpfen würde. Allie weinte und schrie: »Verpiß dich, du Buddhisten-Schwein!«, als er mit Mum und Jean fortging.
    So machten die drei also ihren Abgang, die Augen voller Tränen, in ihren Gesichtern Angst, Schmerz und Wut. Dad brüllte ihnen nach: »Wohin geht ihr? Warum verlaßt ihr das Haus? Bleibt doch einfach hier!«, aber Jean sagte ihm nur, er solle seine große Klappe halten.
    Das Haus war still, als ob nie jemand da gewesen wäre. Dad saß eine Weile auf der Treppe, den Kopf in die Hände gestützt, dann kam Bewegung in ihn. Er wollte auch verschwinden. Er stopfte Schuhe, Schlipse und Bücher in jede Plastiktüte, die ich für ihn auftxeiben konnte, hielt aber plötzlich inne, als habe er begriffen, daß es sich nicht schickte, ein Haus zu plündern, das man verließ.
    »Vergiß es«, sagte er. »Laß uns nichts mitnehmen, okay?« Mir gefiel die Idee: Es kam mir irgendwie aristokratisch vor, einfach mit leeren Händen hinauszugehen, als stünden wir über allen irdischen Dingen.
    Schließlich rief Dad Eva an, um ihr zu sagen, daß die Luft rein sei. Zögernd betrat sie das Haus, war so herzlich und freundlich, wie man es sich nur wünschen konnte, und brachte Dad zum Wagen. Dann fragte sie mich, was ich vorhätte, und ich konnte nicht anders, ich mußte einfach sagen, daß ich mit zu ihr fahren wollte. Entgegen meiner Erwartung zuckte sie nicht zusammen. Sie sagte nur: »In Ordnung, hol deine Sachen. Schön, daß du mitkommst. Wir werden viel Spaß zusammen haben, meinst du nicht auch?« Also holte ich etwa zwanzig Platten, zehn Päckchen Tee, den »Tropic of Cancer«, »On the Road« und die Theaterstücke von Tennessee Williams und zog los, um bei Eva zu wohnen. Und bei Charlie.
    Eva brachte mich für diese Nacht in ihrem kleinen, sauberen Gästezimmer unter. Bevor ich ins Bett ging, warf ich einen Blick in das große Badezimmer neben ihrem Schlafzimmer, das ich vorher noch nie gesehen hatte. Die Badewanne stand mitten im Raum und hatte einen altmodischen Wasserhahn aus Messing. Auf dem Rand der Badewanne standen Kerzen, daneben ein alter Alu-Eimer. In den Eichenholzregalen reihten sich die Lippenstifte und Rougedöschen, Make-up-Entferner, Reinigungs- und Feuchtigkeitscremes, Haarsprays, cremefarbene Seifen für Kinder -, für empfindliche und für normale Haut; Seifen in exotischen Verpackungen und in hübschen Schachteln; Gartenwicke wuchs in einem Marmeladenglas und aus einem Eierbecher, in Wedgwood-Untertassen lagen Rosenblüten; außerdem entdeckte ich noch Parfümflaschen, Wattebäusche, Haarfestiger, Stirnbänder, Haarklammern und Shampooflaschen. Es war verwirrend: Daß sich da jemand mit soviel Aufmerksamkeit dem eigenen Körper widmete, stieß mich ab, und doch eröffnete sich mir hier eine Welt der Sinnlichkeit, der Gerüche und Berührungen, des Luxus und der Gefühle, die mich wie eine unerwartete

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