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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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meiner Wünsche. Aber meine Ziele waren wenigstens klar, und ich wußte, was ich wollte. Ich war zwanzig Jahre alt. Ich war zu allem bereit.
     

TEIL 2 
    In der City
     

Kapitel neun

    Eigentlich bestand die Wohnung in West Kensington nur aus drei großen, einstmals vornehmen Zimmern mit so hohen Decken, daß ich erstaunt und mit offenem Mund die Dimensionen der Wohnung beglotzte, als stünde ich in einer verfallenen Kathedrale. Die Decke in diesen Zimmern war aber auch das Interessanteste an der ganzen Wohnung. In der Toilette am Ende des Flurs war das Fenster zerbrochen, und der Wind pfiff einem direkt am Arsch vorbei. Die Wohnung hatte einer Polin gehört, die hier ihre Kindheit verlebt und die Zimmer in den letzten fünfzehn Jahren an Studenten vermietet hatte. Als sie starb, kaufte Eva die Wohnung inklusive Möbel. Die Zimmerwände waren mit einer uralten, verkrusteten Schimmelschicht überzogen, und in jedem Raum gab es einen Klingelzug mit eisernem Griff, mit dem man früher die Diener aus dem Basement gerufen hatte, wo jetzt der Tournee-Manager von Thin Lizzy wohnte; ein Mann, erzählte mir Eva, der das Pech hatte, daß ihm Haare auf den Schultern wuchsen. An den tristen Wanden, von denen die Farbe abgeblättert war, hingen dunkle, zersprungene Spiegel und große, rußgeschwärzte Bilder, die, wenn wir nicht zu Hause waren, eines nach dem anderen verschwanden; sonst gab es keine Anzeichen dafür, daß bei uns eingebrochen worden war. Erstaunlicherweise schien Eva sich nicht sonderlich über das Verschwinden der Bilder aufzuregen. »Hey, Eva, ich glaube, es fehlt schon wieder ein Bild«, sagte ich.
    »Ach ja? Dann haben wir wenigstens Platz für andere Sachen«, antwortete sie. Schließlich gestand sie uns, daß Charlie die Bilder klaute, um sie zu verkaufen, aber wir sollten ihn nicht daraufhin ansprechen. »Zumindest zeigt er einen gewissen Einfallsreichtum«, sagte sie.
    Trennwände in den drei großen Räumen unterteilten die Wohnung in kleinere Zimmer. Gebadet wurde in der Küche. Es sah aus wie in einer Studentenbude: eine elende und dreckige Absteige mit Linoleumboden und getrockneten weißen Blumen auf dem Kaminsims. Die großen, leeren Flächen der Zimmer wurden durch ramponierte, braune Möbelstücke aufgelockert. Es gab nicht einmal ein Bett für mich; ich schlief auf dem Sofa im vorderen Zimmer. Charlie, der auch nicht wußte, wo er bleiben sollte, schlief manchmal neben mir auf dem Boden.
    Angewidert sah Dad sich in der Wohnung um. Eva hatte sie ihm vorher nicht gezeigt; sie unterschrieb einfach sofort den Vertrag, als wir das Haus in Beckenham verkauft hatten und ausziehen mußten. »Gott im Himmel«, stöhnte Dad, »warum müssen wir nur in so einem Drecksloch leben?« Aus lauter Angst, eine Spinne könne aus einem der Sessel herauskrabbeln, wollte er sich nicht einmal hinsetzen. Eva mußte mehrere Plastiktüten über einen Stuhl ausbreiten, bis er für Dads Hintern hygienisch genug war. Eva dagegen strahlte vor Glück. »Ich kann hier wirklich einiges draus machen«, sagte sie mehrmals und ging mit großen Schritten durch die Wohnung, während Dad immer blasser wurde. Dann umarmte sie ihn mitten im Zimmer, bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Er sollte wohl den Mut und den Glauben an sie nicht verlieren und sich nicht danach sehnen, wieder bei Mum zu sein. »Was meinst du?« fragte Dad und wandte sich an mich, seiner Sorge Nummer Zwei. »Mir gefallt’s hier«, sagte ich, und das beruhigte ihn. »Aber wird es für ihn auch das Richtige sein?« fragte er. Eva bejahte. »Ich paß schon auf ihn auf«, sagte sie und lächelte.
    Das Leben in der City machte die Fenster in meinem Kopf weit auf. Wenn ich an die Möglichkeiten dachte, die sich mir an einem so bunten, schnellen und quirligen Ort eröffneten, wurde mir ganz schwindelig: und dieses Gefühl half mir nicht gerade, mit diesen Möglichkeiten irgendwie zurechtzukommen. Mir war immer noch völlig unklar, was ich eigentlich wollte. Ohne Ziel fühlte ich mich in der Menge verloren; und ich begriff erst allmählich, wie die Stadt funktionierte.
    West Kensington bestand praktisch nur aus Reihen fünfstöckiger Häuser mit abbröckelnden Stuckfassaden; die Wohnungen wurden meist zimmerweise an ausländische Studenten, Durchreisende und ärmere Leute vermietet, manche von ihnen wohnten schon jahrelang hier. Die District Line der U-Bahn verlief parallel zur Baron s Court Road und tauchte ungefähr in der Straßenmitte in die Erde ein; die Züge

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